Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Beilstein-Eishöhle in der Steiermark/A


Johann Tendler, um 1840


Marcus Preissner 1. Juni 2002


"Hier sind drei Deutsche. Die wollen in die Eishöhle. Einer von ihnen war schon in seiner Jugend mal hier. Er will sehen, wie es heute in der Höhle ausschaut." Gemeint war ich, im 53ten Lebensjahr jetzt. 1975 war ich schon einmal in der Gegend gewesen, praktisch vergeblich, weil wir damals das Loch nicht gefunden haben, dann 1976 nochmal, erfolgreich. Jetzt wollten wir, Alfred Schlagbauer, Marcus Preissner und ich, noch einmal hin. Ein kleines modernes Abenteuer....


Die Beschreibung von Trimmel in seinem Bericht über die Erklärung zum Naturdenkmal gibt die wesentlichen Kennzeichen dieser Höhle in einer nicht zu übertreffenden Knappheit und Klarheit wieder, daß sie hier einfach noch einmal zitiert seien: "Die Höhle ist eine abwärtsführende, statisch bewetterte Karsthöhle, die inmitten eines geschlossenen Hochwaldbestandes liegt. Sie setzt mit einer doppelten, schachtartigen Öffnung an, aus der ohne größere Schwierigkeit der Abstieg in die ausgedehnte Haupthalle möglich ist. Die mächtigen Ablagerungen von Sohleneis, die der Höhle zusammen mit mehr als 5 m hohen Standeisbildungen und Eissäulen ihr besonderes Gepräge verleihen, reichen auch in jenen Abschnitt der Höhle, der vom direkten Tageslicht erreicht wird. Das geschichtete Bodeneis weist eine Dichte bis zu 14 m auf, wobei vereinzelt Baumstämme, die in die Höhle gestürzt sind, im Eis eingeschlossen und dort konserviert sind. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit einer Erarbeitung der jüngsten wald- und klimageschichtlichen Entwicklung des Gebietes. Die Höhle und ihre Eisbildungen besitzen daher große naturwissenschaftliche Bedeutung."

Die Höhle war der Bevölkerung von Gams und Umgebung schon lange bekannt und spielte in der wissenschaftlichen Diskussion über die Entstehung des Höhleneises im 19. Jahrhundert eine bedeutsame Rolle. Man kennt auch das Aussehen des Eisformenschatzes im vorigen Jahrhundert recht gut, weil sich Abbildungen davon in der "Höhlenkunde" von Franz Kraus (1894) finden. Es ist nun sehr reizvoll, diese alten Bilder mit neueren Fotos zu vergleichen, um zu sehen, ob es irgend welche bedeutsamen Veränderungen ergeben haben.

Aus der "Höhlenkunde" von Franz Kraus, 1894

Wie wichtig so etwas werden kann, wurde mir vor Jahren mal bewußt, als ich plötzlich an einem Nachmittag einen Anruf erhielt vom Hessischen Fernsehen, wo jemand für eine besondere Fernsehsendung gesucht wurde. Man hatte vor, weltweit eine Sendung zu machen, wo auf die Gefahren der Änderung des Erdklimas aufmerksam gemacht werden sollte. Eine Szene davon sollte in einer Höhle spielen, wo man anhand des Vergleichs Früher-Jetzt vielleicht schlagkräftig zeigen konnte, daß selbst in den Höhlen das Höhleneis zurückgehe durch die Erderwärmung. Die Sache wurde dann von mir weitergeleitet und am Ende verzichtete man auf die Szene, aber von der Grundidee war das Ganze nicht schlecht überlegt.

In dem im Jahre 1900 erschienenen Buch von Edwin Swift Balch "Glacières or Freezing Caverns" wird die Höhle wie folgt charakterisiert: "These lie about 4 hours on foot from Gams in Steiermark, at an altitude of 1260 meters, in a place where the mountain is much broken up by fissures and snow basins. The large cave has two openings, from which steep snow slopes descend. The cave is 60 meters long, 15 meters to 18 meters broad, and about 7 meters high. Clefts in the rock in two places lead to two lower, small ice chambers. In the neighbourhood of the large cave are two small ones. Prof. Cranmer found fresh ice in the Beilsteinhöhle on the 20th of August, 1895. Two days before, fresh snow had fallen on the neighboring mountain peaks." Diese Übersetzung zeigt besonders scharf, was damals darüber bekannt war, weil hier der Inhalt vollkommen reduziert auf die überlieferten Wörter ist. Balch war selber nie dort, kein Wunder er war Amerikaner, aber einer der ersten, der die Entstehung der Eisvorkommen in Höhlen wissenschaftlich anging und auch alles zusammentrug, was in der Alten Welt damals darüber bekannt war..


In unserer Zeit ist die "Zeit" zu einer der "maßgebensten" Faktoren geworden. Deshalb las ich die "4 Stunden Fußmarsch von Gams aus" mit besonderem Interesse. 4 Stunden hoch , 4 Stunden runter und noch ein paar Stunden an der Höhle - eine satte Tagestour war das damals.

An solchen Zahlen kann man auch sehen, wie sehr sich alles heute beschleunigt hat. Wir gingen erst um 2 Uhr nachmittags los. Wo die Höhle genau las, das wußten wir nicht. Ich hatte alles zusammengekramt, was ich bekommen konnte, vom alten Sartorius bis zu Volker Weißensteiners Artikel, dann hatte ich noch eine alte ADAC Generalkarte Österreichs aus dem Jahre 1984, wo sie eingezeichnet ist, und zwei Beschreibungen von Einheimischen, die wir unterwegs im Krautgraben getroffen hatten. Ein Bauer machte uns gleich als erstes darauf aufmerksam, daß das Gebiet abends aus Jagdgründen tabu sei, gab uns dann aber doch einen entscheidenden Tip: "Bei einer Weggabelung sich rechts halten." An einer Abzweigung von der schottrigen Talsstraße nach links, dort, wo links eine kleine Holzhütte steht, mußten wir schon das Auto stehen lassen. Ein Forststraßenschild sperrt verweist alle normalen Bergtouristen auf ihre Füße. Aufwärts geht es, steil und unablässig, erst zwischen zwei Bauernhöfen durch, vorbei an kräftig bellenden und einen abschnufelnden Hunden, hinauf und hinauf, schier endlos, 600 Höhenmeter hoch, bis man ganz oben ist. Dort verläuft eine breite Forststraße entlang des ganzen Bergkamms, von der man prachtvollen Fernblicke auf Gesäuse und Hochschwab hat. Eine große dolinenartige Wiesenfläche ist da, viel Jungwald, nachdem man große Flächen waldwirtschaftlich niedergemacht hat. Leider bot das Gelände keinerlei Anhaltspunkt, wo denn die Höhle sei. Irgendwie wurde es sinnlos, der Forststraße immer weiter zu folgen, ohne zu wissen, wo wir eigentlich hin mußten.

Da ,auf einmal die vollkommen unerwartete Hilfe in Form des neuen Jagdpächters des Gebietes, ein stattlicher älterer Herr im Mercedesgeländeauto, der von uns gleich nach dem Nummerschild auf dem Auto den Codenamen GAMS 1 bekam. Er war wohl genauso wie wir überrascht, daß sie da jemand herumtrieb. Er hielt an, wir tauschten uns aus, und er half uns. Sein Handy kam zum Einsatz, er rief seinen Jäger an, der gab ihm die Auskunft, wo die Höhle war, nämlich gerade 100 m von seiner Jagdhütte entfernt, am Ende nahm er den schon über große Blasen sich beklagenden Alfred im Auto mit. Wir 2 anderen hatschten behende auf der erst runter und dann wieder hochführenden Forststraße allmählich nach. Kurz vor der Hütte war schon Alfred Schleifsack am Weg. Er selber steckte im Wald links daneben und kam mit der enttäuschenden Nachricht, daß da keine richtige Höhle auszumachen sei. Wir folgten den kleinen Steiglein und kamen dann doch zum nicht zu übersehenden Eingang. Eine große Doline hat an einer Seite einen Felstrichter, der unten mit Schnee gefüllt war. Hier mußte es sein. Marcus zog ich als erster um, befestigte das Seil an einem Felsblock und ließ sich in die Tiefe. Ein paar Meter, dann war da ein Schneeboden. Die Felswand trat ein bißchen nach hinten. Wenn, dann mußte dort die Fortsetzung in die Höhle sein. Tatsächlich war da nicht viel. Eine 1 x 2 m messende Spalte führte senkrecht in die Tiefe, sonst nichts. Der kritische Blick an die Wände zeigte, daß da vor uns wohl nie jemand aufgemacht hatte, in die Höhle zu steigen, weil nirgends ein Spit zu finden war. Mangels Seilverankerungsmöglichkeit improvisierte Marcus ein bißchen und schlang das zweite Seil um einen halbscharigen Felsblock und warf das Seil über eine Kante hinunter in die Tiefe. Gut sah das nicht aus. Alfred kam nach, prüfte mit seinem Expertenwissen die Situation. Ein hinuntergeworfener Stein fiel 3 Sekunden frei. Das wären 50 m bis zum Boden. Der Stein fiel nicht auf Schnee oder Eis, sondern auf Fels. Da unten mußten sich große Veränderungen zu früher ergeben haben, mit unseren bescheidenen Mitteln konnten wir da nicht viel machen und kehrten lieber wieder um. Am Seil im freien Hohlraum zu hängen, dann noch nicht ganz runterzukommen und eine prachtvolle Scheuerstelle über einem, alles Dinge, die man sich freiwillig nicht antun mußte.

 

Tatsächlich ist das Eis gewaltig zurückgegangen, vielleicht weil vor Jahren mal über der Höhle der Wald stark abgeholzt worden war. Inzwischen sind die Bäume wieder kräftig nachgewachsen, aber ein Vergleich der Außenaufnahmen von früher und heute zeigt noch immer den großen Unterschied. Trimmel hat dazu schon vor vielen Jahren sich Gedanken gemacht und gefordert, daß "Schutzmaßnahmen für Höhlen und Höhleneis daher sich nicht auf den Höhlenraum selbst beschränkt bleiben können, sonder erst sinnvoll sind, wenn auch das Gelände über den schützenswerten Hohlräumen erfaßt wird".

Für uns jedenfalls war die Tour schon wieder zu Ende. Wir packten unsere Sachen wieder zusammen, gingen ziemlich leise wieder zurück, um das Wild nicht zu sehr zu verschrecken, kamen in der Nähe von GAMS1 auf dem Jägerstand vorbei, wo er auf seinem Jägerstand auf seiner Hirsch wartete, wir winkten und zogen weiter. Ein langer anstrengender Hatscher nach unten wartete noch auf uns, ehe wir nach insgesamt 6 Stunden Tour endlich die Rucksäcke wieder beim Auto fallenlassen konnten.

Nach solchen Erfahrungen sich vorzustellen, daß es mal Pläne gegeben haben soll, neben der Kraushöhle auch die Beilstein-Eishöhle als Schauhöhle zu erschließen und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen - der Gedanke, muß einem dann schon ziemlich absurd vorkommen.


Zuletzt noch ein knappes Zitat aus F. Sartorius Bericht aus dem Jahre 1809, der ausgezeichnet widerspiegelt, wie man damals so eine Höhlentour wahrgenommen hat:
"Ich rathe jedem, den seine Gesundheit lieb ist, bevor er diese Höhle zu besteigen anfängt, sich wohl abzukühlen, denn der Schweiß, der durch die Hitze des Hinabsteigens in Menge hervorkömmt, würde durch die näßlich Kälte, die in dieser Höhle herrscht, zurück getrieben, und könnte so leicht die Ursache einer tödtenden Krankheit werden.
So wild und fürchterlich der Eingang dieser Höhle ist, so gräßlich wird der tiefe Schlund, der eine herauf angähnt, wenn man sich anschickt, die Höhle zu besteigen; die Luft haucht klat und grimmig aus dem Innern der Erde hervor, und je weiter man über den gefrorenen Schnee, in den unsere Begleiter Stuffen eingehauen hatten, herabkommt, desto sichtbarer wird der Athem jedes Wortes, das man in dieser Höhle von sich läßt. Ohne Steigeisen soll es ja niemand wgen in diese Höhle hinab zu klettern..."


Literatur:

Trimmel, Hubert Gedanken über den Zusammenhang zwischen Höhleneis und Vegetationsbedeckung über einer Eishöhle, Die Höhle 1-1969, S. 4ff.
Trimmel, Hubert Höhlenschutz in Österreich im Jahre 1971, Die Höhle 1-1972, S. 24
Krauss, Franz Höhlenkunde, Wien 1894, S. 207-219
Cranmer, Hans Eishöhlen und Windröhren Studien: Abhandlungen der K. K. Geographischen Gesellschaft in Wien, vol.I., 1899, S. 63
Balch, Edwin Swift Glacières or Freezing Caverns, Johnson Reprint Corporation, New York und London 1970, originally published in 1900
Kusch, Heinrich und Ingrid Höhlen der Steiermark, Steirische Verlagsgesellschaft, Graz 1998
Balch, Edwin Swift Glacières or Freezing Caverns, Johnson Reprint Corporation, New York and London 1970
Weißensteiner, Volker Die Beilsteineishöhle, Mitteilungen des Landesvereins für Höhlenkunde in der Steiermark 5, 2, 1976, S. 96ff.
Sartori, F. Die Eishöhle am Brandsteine in der Gems, in der Steyermark, in: Naturwunder der Oesterreichischen Kaiserthumes, Dritter Theil (Wien) 1809, Seite 40ff.
Kraus, Franz Die Veränderungen in der Eishöhle am Beilstein, S.344-346, in: Globus: 59. Band, 1891 - Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde, mit besonderer Berücksichtigung der Ethnologie, der Kulturverhältnisse und des Welthandels, Braunschweig,


Foto Franz Lindenmayr, veröffentlicht im CAVING INTERNATIONAL
CAVER'S CALENDER 1982
in Bild von links nach rechts: Klaus Vater, Christian Deubner, Klaus Eberhard, aufgenommen 1976

Foto Franz Lindenmayr, veröffentlicht in Rotkreuz echo 3-1978, Diebstahl im Berginnern - "Wie die Höhlen der Erde geplündert werden"
Im Bild von links nach rechts: Klaus Vater, Christian Deubner, Klaus Eberhard

 


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