Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Martinsloch bei Elm / Schweiz


Am 3. Oktober 1998 stand ich morgens gegen 9.30 Uhr in dem kleinen Schweizer Dorf Elm im Kanton Glarus an einer bestimmten Stelle in der Nähe des Hotels Sonne und wartete auf ein ganz besonderes Ereignis. Würde gleich die Sonne durch ein Felsenfenster hoch oben bei den Tschingelhörnern für nicht mal eine Minute scheinen und einen hellen Fleck hier unten im Tal entstehen lassen? Der Himmel war leider ziemlich bedeckt.

Nur an einzelnen Stellen war der blaue Himmel zu sehen, ansonsten verhinderten graue Wolken heute das Durchdringen der Sonnenstrahlen. Die Zeit verstrich und nichts war heute passiert. Ein bißchen frustriert ging ich ins nahe Sportgeschäft Rhyner, wo es laut einer Markierungstafel im Ort den Führer "Das Martinsloch zu Elm", herausgegeben vom Verkehrsverein Sernftal - Glarnerland, gebens sollte. Eine freundliche Dame hatte gerade den Laden geöffent und bediente mich. Sie hatte noch ein Exemplar für 15 sfr für mich und ein paar Postkarten, auf denen das wahrlich nicht alltäglich Phänomen abgebildet war. Es stellte sich heraus, daß ihr Mann einer der größten Fans des Elmer Naturschauspiels zu sein scheint. Er stellt die Hinweistafeln im Ort auf, verfolgt jedesmal des Schauspiel und hat schon eine Sammlung von 2.000 Dias dieses Ereignisses. Am Tag vorher, erzählte Frau Rhyner, habe es die Lichterscheinung gegeben, und 2 Tage vorher auch. Im Herbst sei das Wetter ohnehin sicherer, da sähe man den Vorgang regelmäßiger als im Frühjahr. Nur heute, an dem Tag, wo ich gerade da war, da wars halt nichts damit. Nächstes Jahr wieder - im Frühjahr (13. oder 14. März / 8.55 Uhr MEZ) und im Herbst (30. September / 8.33 Uhr MEZ). An diesen Tagen und Zeiten scheint die Sonne, sofern sie scheint, genau auf die Kirche von Elm. Ein paar Tage vorher und nachher ist das Ereignis auch zu beobachten, allerdings ist dann der Lichtfleck an anderen Plätzen in Ort.

Die Kirche von Elm am 3.10.1998 morgens - kein Lichtstrahl

Im Dorf aushängender Zettel

Wer mehr über dieses erstaunliche Phänomen erfahren will, der sollte sich das Büchlein zulegen. Darin wird ausführlich auf die astronomischen, alpinistischen, geologischen und kulturhistorischen Details eingegangen.

Franz Hohler hat in einer kurzen Passage in seiner Novelle "Die Steinflut" auch das Martinsloch erwähnt: "..sie waren mit der ganzen Schulklasse auf die Wiese hinter der Kirche gegangen und hatten zugeschaut, wie die Sonnenstrahlen zuerst auf den Kirchturm trafen, wie sie dann die Dächer des Dorfes streiften samt ihnen allen, die da standen, und wie sie dann wieder verschwanden und erst ein bißchen später wiederkamen, als die Sonne über dem Grat richtig aufging..." (S. 67) "Katharina fröstelte, es war kühl draußen. Vielleicht scheint heute wieder einmal die Sonne, dachte sie und schaute noch einmal zu den Gipfeln und Gräten. Durch das Martinsloch drang eine kleine Wolke, als schnaubte ein Drache aus seinen Nüstern, und dann verschwand es ganz." (S. 70)

Immanuel Kant hat in seiner "Physischen Geographie" 1802 zwei natürliche Höhlen in der Schweiz erwähnt: eine Höhle auf dem Pilatusberge und die "Martinshöhle", "wo das Licht zur Sommerzeit gerade in dieselbe fällt". (S. 256)

Geologisch gesehen ist die 19 m hohe Felsöffnung eine große Besonderheit. Sie sitzt genau auf der Linie der sog. "Glarner Hauptüberschiebung". Fußend auf den Erkenntnissen der Kontinentalverschiebungstheorie von Alfred Wegener wird ihre Entstehung auf die Kollision der afrikanischen und der europäischen Kontinentalplatte zurückgeführt, die zur Auffaltung der Alpen zur Folge hatte. Riesige Gesteinspakete wurden über viele Kilometer unter andere gedrückt. Im Glarner Land geschah das über 35 km. So  kamen auch ältere über jüngeren Gesteinsschichten zum Liegen. Beim Martinsloch lagert 300 Millionen Jahre alter Verrucano auf 100 Millionen Jahre altem Kalk (Stafffelbach S. 81). 

Links:

Kupferstich von Niquet (Das Martinsloch zu Elm)

Das Martinsloch ist nicht das einzige Phänomen dieser Art. Es gibt noch mehr:


Literatur:

Aliesch, Georg Felsenfenster mit Lichtphänomen - Seenwanderungen im Murgtal / CH, Bergsteiger September 2006, S. 80ff.
Bernasconi-Schwartz, Christine und Reno, Högl, Lukas, Perret, Danielle, Santschi, Catherine La grotte dans l'art suisse du XVII^au XX siècle, Ausstellungskatalog zur Exposition organisée dans la cadre du 12e congrès international de spéléologie 10 - 17 aout 1997, La Chaux-de-Fonds
Bischof, M., Weber, H., Stopper, H., Schmidt, A. & Nann, S. Das Martinsloch zu Elm. Die Region Elm/Glarus mit den Ereignissen im Martinsloch, 66.S., Glarus 1966, erhältlich bei Kur- und Verkehrsverein Sernftal, Verkehrsbüro Sernftal, 8768 Elm (Schweiz), Preis 10 €
Bolze, Günter Paul Das Elmer Geheimnis, ALPIN 3/2003, S. 82ff.
Derungs, Kurt Augen der Alpen - Das Phänomen der Sonnenlöcher, edition amalia, Grenchen 2014
Hohler, Franz Die Steinflut, dtv-Verlag, München 2004
Kant, Immanuel Werke IX, Berlin 1968 Physische Geographie
ohne Verfasserangabe Aus dem Sagenschatz der Alpen, alpinwelt 4/2018, S. 25
Siegmund, Günther Durchlöcherte Berge und orographische Fenster, Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Klasse der königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München, Bd. 41, H.2, 1911, S. 373-403
Staffelbach, Heinz WeitWandern mit Genuß - Die schönsten mehrtägigen Wanderungen in der Schweiz mit Berghotel-Komfort, AT-Verlag, Aarau und München 2011

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