Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Grotte de Saint-Vit - ein alter Veitstanzplatz?


Auf dem Weg von Straßburg in Richtung Paris kommt man in der Nähe von Salerne im Tal der Zorn vorbei. Nicht weit davon liegt die Grotte de Saint-Vit, die ein außerordentlicher Platz ist.

Wer heute hingeht, der findet die Örtlichkeit ganz leicht, weil Schilder überall darauf hinweisen, z.B. vom Forsthaus Schweitzerhof oder über den "Felsenweg" von der Burg Greifenstein aus, und zuletzt markiert ein Türmchen am Talrand unzweideutig den Ort.

Die Höhle selber ist heute als Kirchenraum gestaltet mit Betbänken und einem Altar.

Noch immer sollen heute Gläubige dorthin pilgern und den dort verehrten Heiligen um Hilfe bitten, den heiligen Veit. Um ihren Bitten Nachdruck zu verleihen, tut vielleicht noch heute etwas, was lange dort üblich gewesen ist, nämlich ein eisernes Figürchen an den Altar zu hängen, das einen Frosch darstellt.

Woher dieser Brauch kommt, das ist nicht mehr genau bekannt. Vielleicht ist er die Folge einer Verwechslung, so Pierre Minvielle.Der Frosch galt als Inkarnation schlechter Geister und als hüpfendes Tier, wurde er deshalb mit den ekstatischen Tanzbewegungen beim "Veitstanz" assoziiert? Jedenfalls galt Sankt Veit als der Nothelfer gegen Epilepsie und das "Veitstanzsyndrom", das seinen Namen bekam.

Anfang November 1995 besuchte ich einmal mit Michael und Carmina Läntzsch diesen Ort. Niemand außer uns war unterwegs. Der Herbst war noch nicht soweit fortgeschritten, daß die Blätter noch ihrer goldgelben Blätter trugen. Stille lag über der Landschaft. Nach einer kurzen Wanderung standen wir vor der Höhle. Auf einer Schautafel bekommt man die Geschichte dieser Höhle vermittelt. Der Kern: Hier war einmal das "Irrenhaus" der Stadt Straßburg. Alle mißliebigen Elemente packte man offenbar damals und schickte sie an diesen entlegenen Ort. Kein Wunder, daß es da seltsam zuging. Und wer konnte schon diesen Menschen helfen? Und wie? Tanzen ist eines der ältesten und ausgezeichnesten Mittel, das der Mensch kennt, um mit dieser Welt zurechtzukommen. Warum also nicht "Veitstanz"?

Was war einmal der Veitstanz? Die Antwort auf diese Frage fällt ganz verschieden aus, je nach dem, ob man mehr eine mehr historische oder medizinische Richtung einschlägt. Aus dem 7. und 8. Jahrhundert nach Christus werden bereits erste Fälle einer "spontan auftretenden Tanzwut" berichtet, später heißt es dann, es hätte richtige "Tanzepidemien" gegeben, die ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 14. Jhdts. erreicht hätten. Vor allem auf Kirchhöfen seien sowohl Frauen als auch Männer an Sterbetagen oder an kirchlichen Festtagen "von einem unwiderstehlichen Zwang zum Tanzen und zum Singen von weltlichen Liedern" befallen worden (Zacharias 63). Solche Störenfriede wurden dann von den Priestern verflucht, immer weiter zu tanzen. Mancher soll es bis zum einem Jahr tun haben müssen, bis dann ein Bischof den Bann wieder aufhob. So ganz klar, warum die "Veitstänze" Veitstänze heißen, scheint selbst den Fachleuten nicht zu sein. So wird diese Bezeichnung auf eine sprachliche Verwechslung mit dem slawischen Sonnengott Swantewit mit dem heiligen Veit (sainte Vit) für möglich gehalten.

Andere sehen in den wilden Tänzen auch Parallelen zur Tarantella in Süditalien. Er soll sich auch einem Heilritual gegen den Biß der apulischen Erdspinne Lycosa tarantula entwickelt haben. Bemerkenswerterweise ist in einem Artikel über "Die Spinne Gottes" in der Süddeutschen Zeitung vom 26./27. Juni 1999 auch wieder eine Höhle erwähnt, wo es heißt: "Seitdem die Tarantel in Apulien zu Hause ist, wird vom Wahnsinn erzählt. In der Gegend von Porto Badisco fanden Höhlenforscher in der Grotta del Cervo prähistorische Zeichnungen, auf denen weibliche Körper tranceartig Tänze vollführen. Eine der Zeichnungen heißt: "Die Spinne des tanzenden Gottes". Unter der Zeichnung rauscht das Meer und es scheint, als entfachten die heranrückenden Wellen den Tanz, um die Sorgen und Nöte mit ins Meer zu nehmen." Das Komische daran ist nur, daß nicht wirklich die Tarantel die Ursache für die "krankhaften Zustände" ist, sondern daß die bei uns "Schwarze Witwe" genannte Spinne Menschen solche Biße zufügen kann, daß sie ganz wirr im Kopf werden.

Eine medizinische Beschreibung für den "Veitstanz" liefert Pschyrembels "Klinisches Wörterbuch": Chorea (gr Tanz) f: sog. Veitstanz des Mittelalters war hysterischer Natur: Hypotonie der Muskulatur, typische Hyperkinesen: schnelle, unwillkürliche Kontraktionen einzelner, wechselnder Muskeln od. Muskelgruppen; dadurch kommt das Bild allg. mor. Unruhe u. Ständigen Grimassierens zustande: unwillkürl. Schnalzen, Grunzlaute, Dysarthrie...".

Warum heißt diese Höhle so? Vitus oder auch Veit bzw. Vit soll ein Märtyrer sein, an dessen geschichtlicher Existenz nicht zu zweifeln sei. Gegen 305 n.Chr. sei er gemartet worden oder in einen Kessel siedenden Öls geworfen worden. Die Vitus-Legende hat viele unterschiedliche Ausgestaltungen bis heute erhalten. 150 Orte behaupten, sie hätten noch Reliquien des Heiligen, 1300 Orte haben sich ihn zum Haupt- oder Nebenpatron von Kirchen, Kapellen und Altären erwählt. 34 Patronate vereinigt er auf sich, und hier kehren wir zum Ausgangspunkt, dem Irrenhaus zurück. Vitus ist nicht nur der Patron der Apotheker, der Bierbrauer und Gastwirte, der Schauspieler und Winzer, sondern er wurde auch "bei Epilepsie, Hysterie, Schlangenbiß, Blitz und Ungewitter, Unfruchtbarkeit und Bettnässen angerufen.

Am Rückweg von einer Reise nach Luxemburg besuchten wir (Adelung, Kick, Lindenmayr, Schedel) im Februar 2000 noch einmal diesen besonderen Ort. Walter Kick erinnerte sich gleich wieder, daß er schon einmal in Salerne gewesen sei und auch schon einmal eine Höhle dort besucht habe. Wie sich jetzt herausgestellt hat, war es eine andere. Welche? Es war ein schöner, sehr lohnender Ausflug, und davon stammen die folgenden Bilder.

Oberhalb der Grotte ist heute ein kleiner botanischer Garten
Ein alter Stich Im Jahr 2000 - zweimal der selbe Blick
 
  Was ist hier los?

 

Literatur:

Minvielle, Pierre Guide de la France Souterraine, Tchou, Èditeur, 1970, S. 456
Gauchon, Christophe Des cavernes & des hommes, KARSTOLOGIA mémoires n°7-1997
Pschyrembel Klinisches Wörterbuch
Zacharias, Gerhard Der dunkle Gott, Limes-Verlag
Höfer, Josef, Rahner, Karl Lexikon für Theologie und Kirche, 10. BAND Teufel bis Zypern, Herder-Verlag
Taubert, Isabelle Elsass, Verlag Moritz Schauenburg, 1997
Schweighäuser, Joseph Antiquités d'Alsace, Muhlhouse 1828
Archiv für elsässische Kirchengeschichte 13 St. Vitus, 1938

 

Links:
http://www.visit-alsace.com/saverne/

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