Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Höhlenstadt von Goris und andere Sehenswürdigkeiten in der Umgebung, Armenien


Goris ist eine Stadt in der Provinz Sjunik in 1.370 m Höhe über dem Meeresspiegel. Man braucht mindestens 4 Stunden auf Straßen unterschiedlicher Qualität, bis man von Jerewan die 250 km Strecke durch die Berge zurückgelegt hat. Das regionale Industriezentrum hat heute über 20.000 Einwohner, wobei noch immer die Folgen des Karabachkrieges zu sehen sind. Viele Häuser stehen leer, die Dächer sind eingefallen, in den Mauern gähnen die Fensterlöcher. Immerhin gibt es eine staatliche Universität mit 2.000 Studenten. Die Lebensmittelherstellung und die Getränkeproduktion spielen eine große Rolle. Man profitiert auch von der Stromerzeugung mit dem Worotanstaudamm. Allmählich gewinnt auch der Tourismus an Bedeutung, vor allem amerischstämmige Amerikaner. Die Stadt ist ein Verkehrsknotenpunkt. Die Fernstraße M2 für von Jerewan über den Tashtunpass nach Täbriz im Iran, der einzigen Straßenverbindung mit diesem Land. Die strategisch wichtige Straße M12 führt nach Stepanakert in dem umstrittenen Gebiet von Bergkarabach. Deshalb gibt es dort auch einige militärische Einrichtungen.

Der Ort könnte schon ein hohes Alter haben. Einige Siedlungsspuren deuten bereits auf eine steinzeitliche Nutzung hin. Aus dem 8. Jh. v. Chr könnte eine Erwähnung des Ortes in einer Keilschrift stammen, andere haben schon vermutet, daß auch Xenophon um 401 v. Chr. in einer Beschreibung des Rückzugs der Griechen aus dem Reich der Archämiden Goris gemeint haben könnte. Entscheidend für die heutige Stadtgestalt war der Entwurf eines deutschen Architekten, der 1870 der sich zum Verwaltungszentrum sich entwickelnden Siedlung mit geradlinigen Straßenzügen ein schachbrettartiges Grundmuster aufprägte, die gesäumt waren von "schmucken Häusern mit schönen, hölzernen Veranden und Balkonen" (Flaig 432). Von dieser Pracht ist heute nur noch wenig übrig. Die Grundmauern stehen noch, dahinter und davor ist viel Verfall und Müll. Im Zentrum wird mit Besen und Schaufel von Frauen gekehrt, wandert man an die Peripherie, dann macht man gerne eher die Augen zu als auf. Und es heißt auf den Boden zu achten. Auch dort gibt es etwa in den Straßen fehlende Gullydeckel, die einen offenen, auch ungewollten, Zugang ins Kanalsystem gewähren.

Speläologisch am Bemerkenswertesten an Goris ist die alte Höhlenstadt auf der anderen Seite des Flüsschens Vararak. Die Felswände sind perforiert mit Höhleneingängen in allen Höhenlagen. Entlang der Straße und den Wegen sind die leicht erreichbaren und oft auch noch genutzten Hohlräume, aber es gibt auch solche, wo man nur staunen kann, wo sie sich befinden. Das sind wohl die wirklichen Fluchträume von früher gewesen, wenn man sich vor Feinden in letzter Not wirklich zurückziehen mußte. Das müssen richtige Kletterkünstler gewesen sein, die sich wohl eher von oben abgeseilt haben, um dann in den senkrechten Felswänden ihre bienenwabenartigen Hohlräume aus dem Gestein zu hauen. In einem Reiseführer steht, es sei Sandstein, aber es ist wohl eher von "pyroklastischem Charakter" und vulkanischen Ursprungs. Geologen müßten sich das einmal genauer untersuchen.

Es gibt in der Zone eine Kirche des hl. Hripsime, die aber nichts mit einer Höhle zu tun hat, sondern ein gemauertes Gewölbe darstellt. Einziges Anzeichen einer touristischen Erschließung ist ein mit rot-weiß gestrichenen Stangen markierter Wanderpfad hinter dem Friedhofstal, der in die Nähe einiger Halbhöhlen führt. Wo die wirklich spannenden Hohlräume liegen, das haben wir nur am Rande untersuchen können. Die größeren sind abgemauert oder eingezäunt, so daß man nicht einfach reinkommt. Ein besonderer Hohlraum befindet sich in einem dieser bizarren Felstürme. Der Eingang liegt in ca. 3 m Höhe und ist nur über eine geschickte Kletterpartie erreichbar. Wahrscheinlich nutzte man hier früher Leitern, die man dann hinter sich hochzog. Der ganze Felsturm ist ausgehöhlt und führt in allen Richtungen zu weiteren Fenstern im Fels. Am Fuß dieses Turms befinden sich zwei schöne aus dem Felsen gehauene Tierställe mit ihrer typsiche Form: Ein Raum, dreieckig, keine 2 m hoch, an der Stirnseite gegenüber dem Eingang ein langer Felsabsatz, der wohl der Fütterung der Tiere diente. Links befindet sich eine Art Felspforte, die in einen weiteren kleinen Raum führt und zwischen dieser Pforte und dem Eingang eine Mauernische. Dieses Baumuster haben wir mehrfach gefunden, mal in ein wenig größerer Ausführung, mal in kleinerer. Man muß sie wirklich nicht alle einzeln vermessen.

m spannendsten wäre die weitere Erkundung der Zufluchtshöhlen in den steilen Felswänden. Man sieht schon von unten einen Holzstamm quer im Eingang eingeklemmt. Vermutlich hat man darüber ein Seil laufen lassen, mit dessen Hilfe der Aufstieg gut bewältigt werden konnte. Gibt es darin noch Gegenstände von früher? 

Noch leben einige Menschen, die in ihrer Kindheit dort gelebt haben. Sie zu befragen - ob das schon passiert ist? 

Ein Ziel ist sicherlich, ein Museum zu schaffen, in dem die Geschichte dieses besonderen Ortes nachvollzogen werden kann. Sonja und Alexej haben einen Mann im September 2019 dort getroffen, der bereits auf privater Grundlage an so einem Projekt gearbeitet hat. 

Wie das Beispiel Matera in Unteritalien zeigt, muß es nicht beim Desinteresse an der steineren Vergangenheit bleiben. Es wäre schön, wenn das auch in den Fällen Goris und Chndsoresk der Fall wäre.

 

     
     
> Vogelnest
Erosionshöhle

Khndzoresk ist der zweite große Komplex von künstlichen Höhlen im äußersten Westen Armeniens. Er liegt etwa 11 km östlich von Goris. Auf der M12 verläßt man die Stadt, die Straße steigt an, bis das Plateau erreicht ist. Danach geht es auf einer gut geteerten Straße weiter und nach 5,5 km zweigt man zum Dorf Chndsoresk ab. In der Nähe einer Kaserne am Ortseingang zweigt man nach rechts auf einen Weg, der wegen des schlechten Zustands, zur Langsamkeit zweingt. Nach 3 km kommt ein Parkplatz und dort ist vorbei mit Autofahren. Kleine Restaurantbetriebe sind hier vorhanden und man wartet wohl auf einige hungrige und durstige Gäste. Ein erster Blick hinab in die Schlucht ist möglich. Es geht nun auf einem hölzernen Steig hinab in die Schlucht, immer wieder auch mit Rastplätzen versehen. Besonders auf dem Rückweg fällt es wohl manchem schwer, den Anstieg wieder zu schaffen. Schließlich kommt man an einen kleinen Platz. Dort könnte man ein kleines Museum in einer dieser alten Höhlen besichtigen, das als Museum betrieben wird und die Lebensumstände damals zeigen soll.

Wir befinden uns da einem der bedeutsamsten Siedlungsplätze der gesamten Region. Jemand will man ermittelt haben, daß in der Blütezeit dieses Landstrichs 17.000 Menschen hier gelebt hätten. Sie hatten sich links und rechts der 3 km langen Schlucht in die Felsen ihre Lebensräume gegraben. Die frühesten Siedler sollen schon im 5. Jahrhundert da gewesen sein. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hätten hier noch 3.000 Familien gewohnt. Erst nach 1950 hat man das neue Dorf gebaut, womit die Erdwohnungen ihre Funktion verloren. Lange Zeit war die Siedlung kaum zugänglich. Um diese Situation zu ändern, wurde mit dem Geld privater Sponsoren 2012 eine Hängebrücke über die Schlucht gebaut, die den Zugang zu einem kleinen Teil des gesamten Komplexes sehr erleichtert. 160 m ist sie lang und führt bis in 63 m Höhe über den Bach in der Tiefe. 
Leider ist das, was zu Gesicht bekommt, nicht sehr ergiebig. Man sieht zwar ein paar Hohlräume und kann in ihr Inneres eindringen, aber sie enden alle recht bald und ähneln sich sehr. Teilweise hat man auch Gebäude an der Oberfläche errichtet, die alle inzwischen wieder zur Ruine geworden sind. Im Untergeschoß findet man wieder diese Hohlräume, die wohl oft nur die Ställe für die Tiere beinhalteten. Die meisten Besucher wandern wohl nur bis zur Kirche des hl. Hripsime, die ein altes  Steingebäude mit zahlreichen sehenswerten Kunstwerken darstellt. Dahinter verliert sich der Abschnitt mit besuchbaren Höhlen in der Ferne, die man zwar sieht, aber nur mit größerem Aufwand erreichbar wären. 

Tatsächlich muß das Gesamtgebiet noch viel größer sein. Es soll aus 7 verschiedenen Orten bestanden haben und hatte z.B. 7 Schulen. Mangels informativer Unterlagen war uns ein gründlicherer Besuch nicht möglich. Außerdem vermieste des regnerische Wetter 2019 so die Laune, daß wir froh waren, oben wieder am Parkplatz angekommen zu sein.

   
     

Das Kloster von Tatev ist eine der bedeutendsten Klosteranlagen Armeniens. Es entstand im 9. Jahrhundert auf den Ruinen eines älteren Heiligtums. Eigentlich gibt es davon nur übereinander gestürzte Steinblöcke, denn 1931 wurde es bei einem Erdbeben wieder zerstört, aber der Mensch, das Wesen, das mit der Vergänglichkeit allen Seins, seine Probleme hat, baut auch gerne wieder auf, was die Natur schon zerstört hatte. Die Kosten sind dann wohl eher Nebensache, insbesondere wenn ein anderer zahlt (die EU steckt auch mit Fördergeldern hier mit drin) oder wenn sich verspricht, damit wieder Geld verdienen zu können. Eine Horizontalseilbahn über die Schlucht des Worotan, die vor Jahren von Italienern gebaut wurde, zielt ja auch in diese Richtung.

Auf dem Weg zum Kloster, vorbei an der Seilbahnstation, führt die Straße erst einmal tief hinein und hinunter in die Schlucht des Vorotan. Bevor es wieder nach oben geht, liegt seitlich der Straße ein großer Parkplatz. Dort ist der Ort der "Teufelsbrücke". Der Fluß hat sich so tief eingesägt in den Fels, daß oberhalb bereits eine gewaltige Naturbrücke entstanden ist. Schaut man genau hin, dann sieht man auf der anderen Schluchtseite den Eingang zu einer großen Höhle. Um zu ihr zu kommen, müßte man wohl erst in den Fluß hinab und auf der anderen Seite wieder hinauf. Als wir im September 2019 dort waren, da hatte keiner Lust auf ein Vollbad und beließen wir es mit dem Registrieren der Örtlichkeit. Ein Gruppe von jungen Leuten bereitete sich gerade für eine Canyoningtour vor, die man offenbar für Wagemutige anbietet. Sie wären richtig ausgerüstet gewesen, um gleich noch in die Höhle zu gehen. Wir sahen auch etliche Männer in Badehosen, die sich im Wasser vergnügten. Es soll hier warme Thermalquellen geben, in denen ein angenehmer Aufenthalt möglich ist. Auch auf diesen Genuß verzichteten wir im Nieselregen.

     
     

 


Old Goris vom Aussichtspunkt aus

 


 

Literatur:

Chavdarian, Chuck The Caves of Armenia, The South Caucasus Part 2, NSS News, June 2014, 4-12
Flaig Torsten Armenien, DUMONT, Ostfildern, 1. Auflage 2018
Renner, Erika Ehemalige Höhlenwohnungen in Armenien, Der Höhlenforscher 3-1981, S. 40

Links:

Höhlensiedlung von Khndzoresk https://www.atlasobscura.com/places/old-khndzoresk-cave-village

http://www.peopleofar.com/2014/03/02/ancient-cave-dwellings-of-armenia/

https://www.itinari.com/de/levon-s-divine-underground-ki5r

http://www.fundamentalarmenology.am/datas/pdfs/291.pdf

Speläologoisches in Armenien


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