Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Mazi

- eine unterirdische Siedlung in Kappadokien, Türkei


Mazi, ein Dorf in Anatolien, hat eine der unterirdischen Anlagen, die inzwischen unter den Weltkulturerbeschutz der UNESCO gestellt sind. Es liegt 18 Kilometer von Ürgüp und 10 km von Kaymakli entfernt, die auch jeweils eine unterirdische Stadt beherbergen.

Der kleine Ort liegt in einem lang gezogenen Trockental, das eingekerbt ist in die kahle Hochfläche Kappadokiens. Schon in der Römerzeit gab es den Ort, der früher Mataza hieß, was freigelegte Gräber belegen.

In die sog. "Höhlenstadt" gelangt man durch mehrere Eingänge. Die Räume sind oft sehr tagnah, weshalb man offenbar deren Einsturz befürchtete und deshalb umfangreiche Stützmaßnahmen unternommen hat. So findet man heute (2015) in der Eingangsregion viele Stahlsäulen und Flachträger, die die Decke hochhalten sollen.

An den Eingang schließt sich der größte Raum der gesamten Anlage an, der nach oben offen ist und durch den Tageslicht hereinfällt. In alle Richtungen zweigen Gänge ab, die wieder zu anderen Kammern und Räumen führen. Eine Art Führungsweg ist markiert und leitet durch das Gebilde, das einem unterirdischen Irrgarten gleichkommt. Es gibt Vorratsräume, Ställe, sogar einen Raum für die Weinpresse. Erstaunlich sind auch die vielen "communication holes", die keine 10 cm Durchmesser haben, aber in die man sprechen kann oder umgeht etwas zu hören bekommt, was jemand gesagt hat, der sich ganz wo anders sich im Berg aufhält, aber mit dem halt dadurch eine akustische Verbindung möglich ist. Unübersehbar sind die zahlreichen großen Lochsteine. Sie werden auch als "Mühlsteine" bezeichnet und hatten der geläufigen Erklärungsfolklore nach die Aufgabe, im Gefahrenfall in den Gang gerollt zu werden, um ihn zu verschließen und Feinde damit abzuhalten, weiter vorzudringen. Hinter einem dieser "Mühlsteingänge" führt ein kurzer Kriechgang horizontal weiter, um gleich darauf nach oben abzuknicken und in einen Kamin überzugehen. Der wäre auf in die Wand gehauene Trittlöcher zu begehen. Oben liegt heutzutage eine Platte, so daß man nicht mehr weiterkommt. Angeblich gibt es von dieser Anlage Verbindungen zu vielen anderen ganz in der Nähe. Und angeblich kannte man früher einen Zugang zu einem unterirdischen Bachlauf, über den man auch die Wasserversorgung in Kriegszeiten hätte sicherstellen können. Bei den Restaurierungsarbeiten habe man darauf zu wenig geachtet, so daß heute kein Zugang mehr möglich sei.

Nach dem Besuch von Mazi 1, wie ich den Hauptteil einfach nenne, brachte uns der Führer zu einem weiteren Eingang, der, dem Talhang folgend, etwa 50 m entfernt liegt. Der Eingang dazu befindet sich hinter einer gemauerten Struktur, in der ein schwarzer Stier den Zugang blockierte, Schatten suchend. Er mußte erst am langen Strick vom Führer weggezogen werden, ein Kalb sprang gleich hinterher, dann war der Weg frei. Die Tür klassisch aufzumachen ging nicht, weil keine Angeln existierten. Sie flog einfach nach hinten weg und gab so den Weg frei. Eine Art Saal lag dahinter, wo in der Decke ein großes Loch klaffte, durch das das Sonnenlicht hereinflutete. Ein perfekter Platz um klassische Photos mit raffiniertem Höhlenbeleuchtungseffekt zu machen, war das. Dahinter lagen alte, lange Zeit wohl schon nicht mehr genutzte Räume, was man an der dicken Staubschicht überall sehen konnte. Unser Führer kannte sich sehr gut in dem Gewirr der vielen Gänge aus und führte uns hinauf in eine weitere Etage. Er erklomm sie und schickte uns von oben eine Aluleiter herunter, die den Aufstieg ins nächste Stockwerk sehr erleichterte. Ein paar Meter weiter und wir standen an der verschlossenen Gittertür, die dem Normalmenschen den Zugang verwehrt. In einer Ecke lehnte noch der zerbrochene Rest einer Amphore, ein Zeichen dafür, wie man früher hier Flüssigkeiten aufbewahrte. Ansonsten waren diese Räume leer, nichts zu holen oder zu finden. Eine Stunde später brachte uns unser Führer zu einem weiteren Eingang und führte uns durch die nächste Anlage. Auffallend ist die angenehme Kühle, besonders wenn es draußen über 30 Grad hat. Aufrecht zu begehende Räume am Anfang, auch mit Mittelsäule. An den Wänden in die Wände gehauene Tröge, das waren wohl früher Ställe für die Tiere. Weiter hinein in den Berg nehmen die Dimensionen ab, ist man auch einmal gezwungen, sich zu bücken und mit gebeugtem Rücken zwischen den Felswänden sich durchzuschieben. Immer wieder öffnen sich Felskammern mit zahlreichen Nebenräumen und vielen Wandnischen. Alles saubere Arbeit.

Am Eingang zur "Höhlenstadt" trafen wir Enrico Radrizzani, den Betreiber der Reiseagentur La Compagnia del Relax | Vacanze su misura per chi vuole viaggiare con calma.  Er erzählte, daß er einen Artikel über sie vorbereitet. Dann gibt etwas mehr darüber zu lesen.

Beim Besuch dieser unterirdischen Anlage fiel mir schnell auf, daß es sich kaum lohnt, noch viel mehr andere anzusehen. If you have seen one, you have seen them all, heißt ein englisches Sprichwort. Tatsächlich wiederholen sich die Strukturen überall, so daß ein Mehr an Besuchen anderer Räume kaum mehr zum Verständnis beitragen würde. Die große Frage ist, warum wurden diese Anlagen geschaffen und die gängige Antwort darauf ist: Flucht vor Feinden. Auch in der UNESCO-Erklärung für die Unterschutzstellung der Gegend um Göreme lautet es: "troglodyte villages or subterranean towns...served as places of refuge". So eine Perspektive führt da dazu, daß man bestimmten Erscheinungsformen in den Anlagen ganz bestimmte Funktionen anhängt: die großen Lochsteine werden zu Verschlußanlagen für Gänge und die Löcher darin zu Öffnungen, durch man die Feinde weiter bekämpfen kann oder die einfach nur als "Türspion" (WIKIPEDIA) gedient haben sollen, Öffnungen im Boden werden als "Fallgruben" interpretiert. Deckenlöcher darüber seien Öffnungen, um mit Speeren gegen Angreifer vorgehen zu können, um die Eingänge zu verbergen, habe man "Sträucher" (WIKIPEDIA) benutzt.

Mir kommt die nicht stattfindende Diskussion über den Zweck der unterirdischen "Städte" ein wenig wie die Diskussion über Erdställe bei uns vor. Auch das sind unterirdische Systeme, von Menschen geschaffen, aber wozu? Niemand weiß das bis heute wirklich. Es gibt auch da wenige Vertreter einer "Fluchttheorie", wie z.B. Josef Weichenberger, aber deren Argumente erscheinen wenig stichhaltig. Ganz nüchterne Basisfragen erschüttern schnell jedes Theoriegebäude, das für längere Aufenthalte darin sprechen würde. Wo kommt das Wasser her? Was macht man mit den Exkrementen und dem Urin. Bezogen auf die kappadokischen Anlagen heißt das, wo sind z.B. die Wasserquellen, wo die Toiletten für 30.000 Menschen (so eine Zahl wird für die Bewohner von Derinkuyu (derin kuyu = tiefer Brunnen) genannt)? Stolz kann man in zwei davon etwa Toiletten zeigen, in allen anderen fehlen sie. 

Wie viele Anlagen gibt es überhaupt? Die genannten Zahlen schwanken stark. Da heißt es mal, daß es 400 (Westerholz) seien, dann 200 (Krassmann), davon 25 Großkomplexe (Krassmann),  150 -200 sind es bei Gülyaz, WIKIPEDIA nennt 2015 40 unterirdische Städte.

Wie alt sind sie? Genaues kann man kaum darüber sagen. Schließlich sind die meisten Räume leer und geben daher für eine Altersbestimmung wenig her. Weil auch die Hethiter, die nicht weit von Kappadokien die Hauptstadt ihres großen Reiches hatten und auch viele unterirdische Gänge bauten, schon die Gegend kannten, nehmen einige Wissenschaftler an, daß man bereits damals, also gut 2000 Jahre v. Chr. bereits mit dem Bau erster unterirdischer Anlagen in Kappadokien begonnen hat. Die Aushöhlung der Region setzte sich fort, besonders während der Christenverfolgungen durch die Römer und der Arabereinfälle im 7. Jahrhundert n. Chr., nimmt man an. Die einmal vorhandenen Anlagen wurden natürlich später weiter genutzt, auch zu Fluchtzwecken, z.B. als sich 1838 ägyptische Truppen durchs Land wälzten.

Aber war diese Möglichkeit zur "Flucht" der Hauptgrund? Ich glaube, das war eher nicht der Fall. Der Mensch ist in die Erde gegangen, weil er darin relativ gute Lebensbedingungen gefunden hat. Das Baumaterial war schon vor Ort, der gut bearbeitbare Stein. Holte man ihn heraus, entstand ein Hohlraum, den man gleich wieder nutzen konnte - für genau die Zwecke, die man auch noch heute vorfindet: Aufenthaltsräume mit vielen Nebenkammern und Nischen, Ställe mit Vertiefungen fürs Futter, Vorratslager für Wein, Öl, Wasser, Lagerräume für alles Mögliche, auch Küchenräume mit Rauchabzug usw.. Die waren dann miteinander verbunden durch Gänge, Treppen, Schächte mit Tritten.

Wozu haben die großen runden Steine gedient? Keine Ahnung, aber auch hier erinnert etwas mich an die Erdställe. Auch dort hat man in seltenen Fällen mühlsteinartige Scheiben an schwer zugänglichen Stellen gefunden. Es ist schon eine Frage, wie die überhaupt dahin gekommen sind, z.B. in Mitterschneidhart, eine andere ist, wozu sie wohl gedient haben mögen.

Ein wesentliches Moment für das Leben in der Erde dort ist das Klima. Im Sommer wird es sehr heiß dort, wir haben bald 40 Grad während des Tages erlebt. Das ist fast unerträglich, wechselt man aber in die unterirdischen Anlagen, dann wird es schnell ganz angenehm kühl. Umgekehrt, wenn die Winter sehr kalt werden, dann ist es hier vergleichsweise angenehm warm temperiert und man übersteht die kalte Jahreszeit leichter. Kann man mit Gebäuden auf der Erdoberfläche ähnlich erfolgreich sein mit der Temperaturregulierung? Ähnliche Vorteile gibt es wohl auch bei der Tierhaltung und bei der Lagerung von Lebensmitteln.

Eine solche unterirdische Anlage zu haben, das bedeutet ja nicht, daß man nun nur in der Erde sich aufhält. Bauten draußen sind ja nicht deswegen ausgeschlossen. Tatsächlich soll es ja z.B. in Mazi hinter bald jedem Haus eine solche Anlage geben. Die sind dann auch teilweise miteinander verbunden, können aber halt auch wieder durch Verfüllung getrennt werden.

Wenn das wirklich Fluchtanlagen gewesen wären, wofür es keinerlei wirkliche Beweise gibt, dann wäre es sehr wahrscheinlich, daß potentielle Eroberer so eine "Stadt" dadurch hätten "nehmen" können, indem man sie mittels Feuerlegen ausräuchert, die Menschen damit umbringt und sie so ohne eigene Verluste in seine Gewalt bekommt. Ähnliches ist ja z.B. in Höhlen passiert, in der Dunmore Cave in Irland, in der Grotte de la Balme in Frankreich oder in Melidoni auf Kreta. Man hätte längst schon die Spuren so einer menschlich verursachten Katastrophe entdecken müssen, was aber nicht der Fall ist. Zu argumentieren, daß das Konzept der "Unterirdischen Städte" eben so genial ist, daß so etwas gar nicht passieren konnte, was ich wiederum für ziemlich naiv empfinde, trifft das Thema nicht. Was schief gehen kann, geht schief. Ist es aber scheinbar nicht.

Die Steine schweigen weiter und geben uns keine wirkliche Antwort, auf unsere Fragen.

 

 
     
 
     
Mazi 1
     
 
     
< communication hole
Zündet man den Fels mit einem Feuerzeug an, dann beginnt er nach einiger
Zeit zu brennen!
     
 
     
 
     
 
     
 
     
 
     
Mazi 2
     
 
     
 
     
Mazi 3
     
 
     
 
     
 
     
 

Literatur:

Bixio, Roberto, Castellani, Vittorio, Succhaiarelli, Claudio Investigation of the ancient settlements of Subterranean Cappadocia, The International Caver (17) 1996 p3ff.
Dal Cin, Francesco, Bixio, Roberto, Traverso, Mauro, Caloi, Vittoria GROTTE NATURALI E GROTTE ARTIFICIALI IN CAPPADOCIA, Speleologia 40-1999, p 81ff.
Lindenmayr, Franz Mazi - eine unterirdische Siedlung in Kappadokien, Türkei, in: Der Erdstall 44-2018, S. 110-112
Müller, Anton Bericht über Türkeiexkursion, DER SCHLAZ 1-1970, S. 3ff.
Triolet, J. u. L. Les Villes souterraines de Cappadoce", 1993
Triolet, J. u. L. Unterirdische Städte in Kappadokien, Der Erdstall 20 (1994)
Urban, Martin Geschichte unter der Erde - Das Rätsel der unterirdischen Anlagen Kappadokiens, Der Erdstall 12-1986, S. 72ff.
Westerholz, S. Michael Das Unterirdische Mittelanatolien, Der Erdstall 21-1995 S. 94

Links:

Mazi village underground city | Cappadocia Turkey
Underground city of Mazikoy, Cappadocia, Turkey » Panoramas » viewat.org
The Hittites Surprise Us in Mazi | a minor diversion
kaymakli.pdf
Derinkuyu Underground City, Cappadocia
Underground Cities: Turkey, Derinkuyu, Kaymakli - Crystalinks
Inside the Intriguing Ancient Underground City of Derinkuyu
Cappadocia's Underground Cities Homepage
Massive Underground City Found in Cappadocia Region of Turkey

Landschaft und künstliche Höhlen in Kappadokien


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