Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

 Erdställe in und bei Kissing


In einem 1979 erschienenen Artikel über die Erdställe in Kissing hieß es noch, daß es sich die Kissing um "ein etwa 15 km südöstlich von Augsburg gelegenes Dorf" handeln würde. Nun, im Jahre 2015 ist aus der Homepage zu erlesen, daß dort 11.000 Menschen ihre Heimat hätten. Damit ist das Dorfformat schon weit überschritten. Auf der selben Homepage finden wir auch einen Beitrag über die "Unterirdischen Gänge".

Es sind vor allem drei bekannt, aber wie es heißt, soll es "weitere in der Umgebung" gegeben haben. Die Kissinger Gänge sind vor allem historisch bedeutsam, gehören sie doch zu den am frühesten bekannt gewordenen und erforschten "Künstlichen Höhlen" überhaupt in Bayern und anderswo. Als "Erdstall" hat diese unterirdischen Räume erst viele Jahre später angefangen zu sagen. Es begann bei uns mit den Gängen beim Gut Roggenstein in der Nähe von Eichenau, dann waren Gänge bei Nannhofen bekannt, und dann kamen schon die Kissinger Gänge.

Man weiß recht viel über die Entdeckungsgeschichte der verschiedenen Gangsysteme. Der Erdstall im Kirchberg wurde beim Ausgraben eines Kellers auf dem "Grund des Söldners Leonhard Bar" entdeckt (Niedermair 1979). Danach wurde der vordere Teil ausgemauert und als Kartoffelkeller benutzt. Als typischen Erdstall zeigt sich die unterirdische Anlage schon durch die Raumdimension: Das Gangprofil ist meist nur 80 cm breit und 1,50 m hoch. Es gibt zwei Durchschlupfe, einer mit der typischen Kriechstrecke, die dann rechtwinklig abknickt. Die Gänge enden einfach, einer nach 9 m versandet, der andere nach 12 m mit Bauschutt verfüllt.

Der Erdstall im Petersberg wurde 1853 neben dem Haus des Schuhmachers Simon Ströbl 1853 entdeckt. Ein größerer Stein wurde beiseite gerückt und ein Loch tat sich auf einmal dahinter auf. Viele Leute besuchten danach den Erdstall, was zu einer schnellen Aufweitung der einstmals recht engen Stellen darin führte. Wie in all den anderen "Erdställen" gab auch hier nichts wirklich zu finden. "Die Höhle war reinlich und leer". (Niedermair 1979). Der Hauptgang ist 70 cm breit und 1,70 m hoch. Der Hauptgang knickt einmal ab, dann endet er nach 17 m. Zwei Nebengänge zweigen ab. Einer ist 10 m lang, der andere ist durchschnittlich 2 m hoch, nach 7 m gibt es einen kleinen Durchschlupf und danach geht es noch 3,30 weiter. Das Gangprofil ist überwiegend spitzbogig, in den Gängen gibt es mehrere größere und kleinere Nischen.

J. Ranke schrieb über sein Befahrungserlebnis: "Dieses selbsterlebte Hinuntersteigen zum Trophonios, welches Pausanias so anschaulich mit all seinen Schrecken schildert, erinnert mich lebhaft an mein erstes Einfahren in den senkrecht nach abwärts in die Tiefe gehenden Schlund in der künstlichen Höhlen (!) bei Kissing. Auch ich habe mich, zum Theil mit den Füssen voraus, durch die engen Schlupflöcher und Kamine, welche die weiteren Abschnitte der Höhle mit einander verbinden, auf dem Bauche kriechend hindurchzwängen müssen. Das Lachen und die Betäubung, von welcher Pausanias berichtet, deutet wohl auf eine Räucherung und Einathmung von einem organischen Narkotiku." (Bayerl 1899)

Vom Erdstall bei Mergenthau heißt es, er sei beim Aufgraben eines Fuchsbaus gefunden worden. Er liegt am sog. Katzensteg, einem Bergsporn südlich des Schlosses. 5 m geht es steil nach unten, wonach er sich auch 1,25 m Höhe und 1 m Breite erweitert. 28 m führt er weiter. Danach knickt er ab bei einer Breite von 80 cm und einer Höhe von 1 m. Danach endet er in einer Kammer. Darin gibt es eine steinerne Sitzbank und Wandnischen. Es gibt auch einen kleinen Nebengang, der sich kurz aufspaltet und danach versandet endet. Dieser Erdstall wird im Volksmund "Wichtelenloch" genannt und es gibt es dazu passende Sage. Außerdem wird erzählt, daß der Bayerische Hiasl Matthias Klostermayer dort versteckt habe, eine Geschichte, die in das Buch von Manfred Böckl Eingang gefunden hat.

Leider scheint zur Zeit keiner der Erdställe für Interessierte zugänglich zu sein. Es gab in den letzten Jahren ein Forschungsprojekt der Uni Augsburg, wo man mit modernster Vermessungstechnik die unterirdischen Gänge erfaßt hat, das Bayerische Fernsehen hat darüber eine Film gebracht, aber damit scheint es gewesen zu sein. Es hieß, der Bürgermeister persönlich würde den Schlüssel zu einem Erdstall verwalten, ob es stimmt, das habe ich nicht nachgeprüft.

Aus heimathistorischer Sicht sollte ein geregeltes und faires Zutrittsverfahren bestehen. Schließlich handelt es sich hier um bedeutsame Kulturdenkmale, das interessierten Personen einfach zugänglich sein sollte!

Kirchberg
     
Petersburg
     
Eingang  
     
Am Katzensteg  

 

Literatur:

Bayerl , Dr. med.  Das Höhlenorakel des Trophonios, Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Bd. 13, 1899, S. 20-24
Böckl. Manfred

Der Bayerische Hiasl: Das abenteuerliche Leben des Matthäus Klostermayr, Sutton-Verlag, 2012

Christl, Karl, Riedl, Franz Xaver Sagen und Erzählungen aus dem Landkreis Aichach-Friedberg, Aichach 1988
Hilpert, Markus et al. Der Erdstall im Kissinger Petersberg - Ergebnisse eines aktuellen 3D-Scanings, in: DENKMALPFLEGE INFORMATIONEN Nr. 162 November 2015, S. 53-56
KULA (Arbeitsgruppe Kulturlandschaft Augsburg) Bavière Relevé 3D dans le souterrain aménagé de KIssing, Bavière (Allemagne), Subterranea Septembre - Décembre 2016 - 179-180
Müller, Martin Die Vermessung des Erdstalls am Petersberg in Kissing mittels 3D-Laserscanning, Der Erdstall 48/49-2023, S. 147ff.
Niedermair, Henriette Die Erdställe in Kissing und Mergentau, Landkreis Augsburg Ost, Der Erdstall 5, 1979, S. 72ff.
Panzer, Friedrich Beiträge zur deutschen Mythologie, Bd. 1, S. 40
Raab, Hubert, Raab, Gabriele Spurensuche im Wittelsbacher Land, Band 1: Der Landschaft und Natur auf der Spur / Zeitreisen: Vorgeschichte bis Mittelalter, Wissner-Verlag, 2013
Ranke, Johannes Künstliche Höhlen in Oberbayern - Die neu entdeckten künstlichen Höhlen in Unterbachern und Kissing, München 1880
Reiser Mergenthau bei Friedberg, Zugaben zum Kreisintelligenzblatt des Oberdonaukreises (1830), S. 19
Schwarzfischer, Karl Kurzinventar der Erdställe in Bayern, Der Erdstall Heft 7-Roding 1981, S. 88ff.
Thiersch, Joh. Neue künstliche Höhle in Kissing, in : Beiträge zu Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Bd. 2, 1879
v. Hefner, Illing Die unterirdischen Gänge zu Nannhofen und bei Mergenthau, in: Oberbay. Archiv für vaterländische Geschichte, Bd. III, Heft 3, s. 409, siehe auch Bad. XIV.

 


Links:

https://www.blfd.bayern.de/mam/information_und_service/publikationen/denkmalpflege_informationen_162.pdf
Gut Mergenthau - Willkommen
Objekt Detail Seite - Standard
Der Bayerische Hiasl: Das abenteuerliche Leben des Matthäus Klostermayr - Manfred Böckl - Google Books
Region : Uraltes Tunnelsystem in Kissing: Wer hat die Gänge gebaut? - Region - Augsburger Allgemeine
Erdstall-Artikel.pdf
denkmalliste_merge_771142.pdf

Wo gibt es Erdställe?
 


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