Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Der Roggensteiner Erdstall


Stimmt das, was Pater Lambert Karner über den Erstall von Roggenstein geschrieben hat, dann ist dieser der erste wissenschaftlich erforschte Erdstall Bayerns und so ziemlich überhaupt. In den Jahren 1835 und 1840 wurde er auf Veranlassung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften damals näher untersucht. Das erste schriftliche Zeugnis darüber ist noch ein paar Jahre früher erschienen, 1828 in der Zeitschrift "Der Landbote", ohne Verfasserangabe. Richard Busch-Zantner kommentierte das mit "leider anonym" (Busch-Zantner 1935, S. 11)

Leider ist er seit einigen Jahren wieder nicht mehr zugänglich. In den 60er Jahren führte ein Bergsturz dazu, mitausgelöst durch Sandabgrabungen, daß plötzlich wieder eine Öffnung im Berg frei wurde, die den Zugang ermöglichte. Seit einigen Jahren ist er wieder verstürzt bzw. wurde auch absichtlich wieder zugeräumt. Heute steht ein Schild davor: "Entnahme von Sand verboten - bei Zuwiderhandlung erfolgt Anzeige". Das soll wohl auch alle Versuche verhindern, dort wieder zu graben und den Erdstall wieder zu öffnen.

Der Eingang habe einst im Keller des Militärfohlenhofs von Gut Roggenstein gelegen. 1843 habe man ihn bereits abgemauert, aber das stoppte wohl kaum die Neugier der Menschen auch schon früher. 1877 schrieb ein Jacob Groß, daß "er oftmals die Räume besuchte" (Wir Heutigen können da eigentlich nur "neidig" sein - das Versprechen des "Ewigen Fortschritts" durch die "Aufklärung" ist auch hier desavouiert!). Jedenfalls waren sie 1964 wieder einmal offen und eine Frau Henriette Niedermair wurde wohl geholt, um nachzuschauen, was da zugänglich geworden war. Der Reporterin der SZ schilderte sie ihr Ersterlebnis so: "Es schon seltsam beim ersten Mal, es gab kein Licht, und man meinte, man kriegt keine Luft." Sie hat es überstanden und wird dann als "Expertin" vorgestellt, die die Gänge so beschreibt: "Die Bauweise solcher künstlichen Höhlen ist immer gleich. Sie sind 1,80 m hoch und 80 cm breit, die Gänge laufen oben spitz zu, in den Wänden sind Nischen, ebenfalls spitz zulaufend. Stützen gibt es nicht, und es wurde auch nie etwas gefunden in den Höhlen." Damit wird die unterirdische Anlage als typischer Erdstall beschrieben, als recht bequem begehbarer. 5 m lang sei der erste Teil gewesen, dann ein Durchschlupf, es ging dann 40 cm höher, noch ein 6 m langer zweiter Stollen. Am Ende vier Stufen. Am Eingang seien noch Reste eines Teils zu sehen gewesen, der in die Gegenrichtung zeigte. Wie kann man da, Verzeihung, auf eine Länge von ca. 100 m kommen, die in vielen Publikationen über den Erdstall genannt werden? Wenn man großzügig ist, dann kommen da höchstens 20 m zusammen an Gesamtganglänge! Und ist es angemessen, das, was da beschrieben wird, als "Labyrinth" zu bezeichnen, was ein anderer Journalist mal in Bezug auf den Erdstall von Roggenstein geschrieben hat: "Niedrige Kammern, schmale Durchschlupfe, verwinkelte Gänge kratzen sie (vorher hieß es im Text: "Einfache Menschen, Bauern, ihre Frauen und Kinder, Knechte und Mägde, wühlen sich in den Untergrund") aus dem sandigen Boden. Als das Labyrinth endlich fertig ist, schütten sie den Arbeitsschacht wieder zu." Das ist wirklich ein klassischer Beleg für journalistische Phantasieprosa, die unser aller Unwissen einfach durch auf die Zeilen quellende Wortfüllmasse zu vertreiben sucht. Es gibt ja noch Menschen, die glauben etwas, nur weil es irgendwo einmal so "niedergeschrieben" worden ist!

Herbert Wimmer hat sich sehr intensiv später mit dem Erdstall beschäftigt und ihn auf höchstem Niveau untersucht. Schließlich war er ja Eichenauer und hatte den Erdstall praktisch vor seiner Haustüre.

Schade, daß man ihn so stiefmütterlich behandelt. Einfach zufallen lassen, ignorieren, Zutritt indirekt verbieten. Gibt es da keine "gute" Lösung? Zumindest einen Nachbau davon auf dem Gelände vor dem Hang? Dort, wo heute noch die Autos parken? Als Schulprojekt vielleicht? Oder als LEADER-Projekt, EU-gefördert? Da wird ja wirklich alles aus unseren Steuergeldern bezahlt! Warum nicht auch das Bewußtmachen eines Phänomens, das bislang noch vollkommen äußerst rätselhaft ist und die etablierte Wissenschaft noch immer im dunkeln tappt und, wenn wirklich jemand von denen hineingeht, sie, genauso wie alle andern, im Dunkel sind?


In der Süddeutschen Zeitung vom 31.8/1.9.2019 findet sich ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie aus Vermutungen etwas wird, was immer mehr als "Wahrheit" schließlich ausgegeben wird. Man muß dazu zum Kreis der "Wissenden" gehören, vielleicht sogar mit einem akademischen Abschluß oder in einer öffentlichen Funktion, und dann eben all das wiedergeben und zitieren, was auch andere schon kolportiert haben. "Erdställe werden gerne als "geheimnisvoll" bezeichnet. Für Bernd Pfäffgen, Vor- und Frühgeschichte an der Universität München, sind sie das gar nicht. "In der Fachwissenschaft ist akzeptiert, dass es sich um unterirdische Gänge und Kammersysteme handelt, die in Krisenzeiten genutzt wurden, um sich selber und seine Kostbarkeiten zu verstecken."" - Soso, "akzeptiert", aber einen "Beweis" dafür hat bislang noch niemand liefern können. Und der Schluß, daß die gelegentliche Nutzung für so einen Zweck auch die Ursache für ihr Entstehen ist, der ist einfach unzulässig. Man kann das zwar tun, und es geschieht ja auch, weil es halt lästig ist, als "Fachmann" zu gelten, aber auf Fragen keine rechte Ahnung zu haben. Die Ähnlichkeit mit der Interpretation der prähistorischen Höhlenkunst ist auffallend.

Wenn man sagt, etwas sei "geheimnisvoll" heißt das für mich, daß jemand versucht hat, etwas zu verbergen, weil es nicht allgemein bekannt machen wollte - aus welchem Grund auch immer. Wäre "rätselhaft" nicht besser? Wir wissen das im Moment nicht.


 

 
2013
 Diese Erdöffnungen befinden sich auf der anderen Seite des Hügels,
wo der ursprüngliche Eingang zum Erdstall entdeckt worden war.
 

 

Literatur:

Amann, Manfred Die verlorene Wette des Teufels, Süddeutsche Zeitung Landkreis Fürstenfeldbruck Nr. 25 31. Januar 2017 R8
Bernstein, Martin Botschaften aus der Unterwelt - Ein Münchner Arbeitskreis erforscht geheimnisvolle Erdställe - auch die im Burghügel von Roggenstein, Süddeutsche Zeitung Nr. 23, 29. Januar 2009, S. 56
Böhne, Clemens Unterirdische Gänge und ihre Zweckbestimmung, Amperland 7 (1971) 180f. https://www.zeitschrift-amperland.de/download.php?id=239
v. Braunmühl Die unterirdischen Gänge des zerstörten Schlosses Rockenstein bei Alling, B 3. 1841, 397-411
Busch-Zantner, Richard Das Erdstall-Problem, Burgwart 36, 1935, 10-57
Busch-Zantner, Richard Unterirdische Bauernburgen im Alpenvorland, Zeitungsausschnitt 1935
Hartmann, Dr. August Unterirdische Gänge in Bayern und Österreich und Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns, Band VII, München 1887
Hügenell, Ingrid Verschlossene Bücher und Unterschlupf in Notzeiten, Süddeutsche Zeitung Nr.201, 31.8/1.9.2019, Kultur im Landkreis, R9
Karner, Lambert Künstliche Höhlen aus alter Zeit, Wien 1903,
online zugänglich unter: Künstliche Höhlen aus alter Zeit : Pater Lambert Karner : Free Download & Streaming : Internet Archive
Mühl, Anton von Die unterirdischen Gänge des zerstörten Schlosses Rockenstein bei Alling, Landgerichts Bruck, S. 397-411.
Niedermair, Henriette Erdställe im Landkreis Fürstenfeldbruck, 515-517, Amperland, Band 26, 1990 
Niedermair, Henriette Der Erdstall in Roggenstein, in: Der Erdstall 1976, Nr. 2
ohne Verfasserangabe (Progl) "Aus dem Reise-Tagebuch eines Reise-Dilettanten", Die Bayerische Landbotin, Jahrgang 1830 10/12
Panzer, Friedrich Bayerische Sagen und Bräuche Band 1, Verlag Otto Schwartz & Co, Göttingen 1954
Sautmann, Ursula Das Geheimnis der unterirdischen Gänge - Unter der Kapelle von Gut Roggenstein gibt es Erdställe, deren Entstehung noch unerforscht ist, Süddeutsche Zeitung Nr. 289, Ausgabe Östlicher Landkreis, 14./15. Dezember 1996, S. 6
Scheidel, Joseph Von unterirdischen Gängen, Amperland 1 (1965) 36f.
Schinzel-Penth, Gisela Sagen und Legenden um Fürstenfeldbruck und Germering, Ambro Lacus Buch- und Bildverlag, Andechs-Frieding 1996
Schwarzfischer, Karl Kurzinventar der Erdställe in Bayern, Der Erdstall, Roding, Heft 7-1981
Steichele, Dr. Anton Das Bisthum Augsburg historisch und statistisch beschrieben, Band II, 1864
Wolf, Andreas Schwäbisch-Bayerische Hochebene zw. Lech und Isar 1280, Münchener Höhlengeschichte II, München 2004

 

Links:

Die Erdstallforschung und Roggenstein - Eichenau - myheimat.de
Kapelle St. Georg in Roggenstein - Besucherinfo
GUSTL Magazin » Blog Archiv » Reiche Geschichte, vage Zukunft
Burgstall Roggenstein
download_pdf.php / Erdställe im Landkreis Fürstenfeldbruck

Erdställe - wo gibt es sie?


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