Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Die Höhlen der Thebais


In dem wichtigsten Werk der französischen Aufklärung, der Encyclopédie, findet sich ein von Jaucourt verfaßter Artikel über die "Thebaide". Es ist etwas verwirrend, wenn man versucht herauszufinden, was denn die "Thebais" eigentlich ist. Es werden nämlich vollkommen verschiedene Antworten gegeben: 

- einmal "bezeichnet es mehrere poetische und literarische Bearbeitungen des Sagenkreises um die griechische Stadt Theben

- und zweitens geht es um die ägyptische Stadt Theben in Ägypten und ihre Umgebung. Thebais war nach der Gebietsreform Diokletians neben Aegyptus und Lybia die dritte der Provinzen des römischen Ägyptens. Nur diese Bedeutung spielt  hier eine Rolle. Der heutige Name ist "Luxor". 

Ptolemäus, Strabon und Plinius haben in ihren Schriften diese Region erwähnt. Sie liegt entlang des Nils, nach Osten bis zum Roten Meer sich erstreckend. Das Gestein entlang des Flusses wurde abgebaut und für den Bau von Siedlungen, Pyramiden und anderen Großbauten verwendet. Herodot erwähnt die Königin Kleopatra, die 10.000 Menschen für 10 Jahre damit beauftragt hätte, das Gestein abzubauen und in weiteren 10 Jahren eine große Pyramide daraus zu schaffen. Zurück blieben Hohlräume, von denen einige (Holbach nennt 10 bis 15 Plätze), die einstmals von Einsiedlern bewohnt worden sein sollen. Der erste sei Paul von Theben gewesen, dem Antonius "der Große" folgte. 

Die Auseinandersetzung mit diesen Anachoreten beschäftigte noch Jahrhunderte später die Gläubigen, die Künstler, die Schriftsteller. Beispiele dafür sind die Schrift "Dem leidenden Heilande geheiligte Charwoche in der Ägypjtischen Einöde von Thebais, unter gottseliger Anleitung des heiligen Einsiedlers Hilarion, verfaßt von Rienner und 1773 veröffentlicht. 

Auch von Hermann Hesse gibt es ein paar Geschichten, veröffentlicht unter dem Titel "Drei Legenden aus der Thebais" ("Der Feldteufel", "Die süßen Brote" und "Die beiden Sünder").

Hat darin Hesse eine Erfahrung verarbeitet, die er im Tessin möglicherweise gemacht hat? Hat er sich für ein paar Tage in die sog. Gräserhöhle zurückgezogen und selber das einfache Leben eines Einsiedlers ausprobiert?

In den Texten liefert er viele detailierte Beobachtungen über das alltägliche Leben dieser Menschen, die sehr nachdenklich machen können. Ein Beispiel: Wovon lebt eigentlich ein Einsiedler? Von den Erträgen seiner Arbeit? Im Feldteufel erfahren wir, daß "Paul" vom Wasser aus einer Quelle gelebt hätte, von den Früchten eines Palmbaumes und "von einem halben Brot, das ihm jeden Tag durch einen Raben aus den Lüften gebracht wurde". Wie ist diese Mitteilung zu deuten? Was hat es mit dem "Raben" auf sich? Steht er für die "Natur", die schon für die Ihren sorgt, oder als Götterbote dafür, daß der Gott oder die Götter schon für die sorgen, an sie glauben?

Tatsächlich finden sich in den Texten keine direkten Bezüge zur "Höhle". In einer Postkarte an Max Bucherer vom 16.4.1907 steht: "Inzwischen bin ich nach Monte Verita gegangen. Hierher solltest Du auch kommen, da wäre eine Ernte für Dich: Alpen, See, Inseln, ein wilder Felsenberg, Akte im Freien usw. Unser Luft- und Sonnenbadplatz, wo man nackt geht, ist doppelt so groß als Finckh’s Grundstück. Es geht mir recht ordentlich, und ich bleibe jedenfalls noch eine Weile. Jene andere Pension in Monti war schlecht. Hier bewohne in eine eigene Holzhütte allein, ganz im Grünen und habe Ruhe und Freiheit genug. Dabei lebe ich streng abstinent und vegetarisch, was mir hier ganz leicht fällt. 

Am nähesten kommt er diesem Thema in "In den Felsen". Da ist schon einmal das "in" in der Überschrift eigentlich fehlverweisend, denn da kommt dann später im Text nichts mehr, was wirklich darauf weisen würde...keine "Höhle", sondern eine "Hütte" birgt ihn. Als Leser kommt man da nicht weiter....

In "Klingsors letzter Sommer" von Hesse heißt es einmal: "Ob du ein Weib umarmst oder ein Gedicht machst, ist dasselbe. Wenn nur die Hauptsache da ist, die Liebe, das Brennen, das Ergriffensein, dann ist es einerlei, ob du Mönch auf dem Berge Athos bist oder Lebemann in Paris." Dann spielt es wohl auch keine Rolle, wenn man in der Thebais ist statt am Athos...

Eine weitere Einsiedlerregion in Ägypten:
Sketis heißt ein Wüstental (Wadi an-Natun). Der Name kommt von dem Altägyptischen Sechet-hemat, Salzfeld. Es enthält noch heute Einsiedeleien und koptische Klöster.https://www.reiseninaegypten.com/blog/die-koptischen-kloester-von-wadi-natrun, die auch auf einer "tentative list" der UNESCO aufscheinen. In der Flanke des Gabal al-Alaa al-Quibliya liegt die Höhle des heiligen Antonius, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 356 AD lebte. https://citydesert.wordpress.com/2014/01/11/wadi-el-natrun/


Literatur:

Hesse, Hermann Das Erzählerische Werk 9, Suhrkamp Verlag, 1. Auflage Berlin 2012
Hesse, Hermann Die Briefe 1905-1915, Suhrkamp, Berlin 2013
Ohne Verfassernennung Künstliche Höhlen, Vaterländischer Pilger 1835, S. 87ff.
Rienner Demidenden Heilande geheiligte Charwoche in der Ägyptischen Einöde von Thebais, unter gottseliger Anleitung des heiligen Einsiedlers Hilarion: ohn Angst in Latein vorgestellt, nunmehr aber zum allgemeineren Nutzen ins Teutsche übersetzt, 1773

Links:

http://www.aegypten.com/sehenswuerdigkeiten/paulus-und-antoniuskloster/

https://www.aegypten-online.de/antoniuskloster.htm

http://www.mein-aegypten.com/content/st-antonius-kloster-st-paulus-kloster

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