Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Ins Sandkar oder fast


Auf dem Weg zum Happischhaus, 2003


Wo liegt das "Ende der Welt"? "Le bout du monde", auch auf französisch gibt es diesen bildhaften Ausdruck. Für mich stellt das Sandkar im Tennengebirge so einen Fleck dar. Das Tennengebirge, eines der bedeutendsten Höhlengebiete der Erde, liegt südlich von Salzburg.

Ähnlich wie die Kalkgebirgsmassive in der Umgebung, das Hagengebirge, das Steinerne Meer, der Dachstein u.a. besteht es aus einem gewellten Plateau und sehr steilen Felsflanken an den Seiten. Der Zugang ins Innere ist nur an einigen Stellen möglich, wo ausgebaute Steige geschickt durch das himmelwärtsstrebende Gestein führen.

Das Sandkar, ziemlich zentral und völlig entlegen gelegen, wurde früher nur sehr selten aufgesucht. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Höhlenforscher rückte es erst Anfang der 90er Jahre. Auf einmal wurde entdeckt, daß es dort einen richtigen Höhlenpark gibt-

Die moderne Technik mit der Möglichkeit, Hubschrauber einzusetzen, machte es möglich, einen Stützpunkt in diesem Teil der Erde zu errichten, der damals noch direkt ein "weißer Fleck" auf der speläologischen Landkarte war. Inzwischen hat sich vieles getan. Inzwischen hat sich viel getan. Mit dem Altherrenlabyrinth ist eine inzwischen 14 km lange Riesenhöhle erkundet und vermessen worden. Die nahe Thorhöhle ist auf 6 km Gesamtganglänge erforscht. Man hat die "Offenbarungseishöhle" gefunden und vermessen. Viele viele kleinere Objekte sind schon bekannt und die Forschung geht alljährlich in mehrwöchigen Expeditionen weiter.

1981, also lange vor der Sandkarhype war ich schon mal mit 3 Münchner Höhlenforschern dort gewesen. Wir haben das Gebiet einfach nur durchquert, erst bei gutem Wetter, dann in einer fürchterlichen Nebelsuppe, der wir glücklicherweise alle gesund auch wieder entkommen sind.

2003 tat sich dann wieder ein kleines Zeitfenster auf. Klaus Deubner hat sich seit Jahren in den Kopf gesetzt, den Hintereingang zum Frauenofen, einer der großen Tennengebirgshöhlen, im Pitschenbergtal zu entdecken. Das haben schon viele vor ihm probiert und haben es nicht geschafft. Aber vielleicht gibt es ihn doch und er wird eines schönen Tages entdeckt. Jedenfalls war es Motivation genug, auch Alfred Schlagbauer und mich mal wieder auf das Happischhaus zu locken.

Das Happischhaus zu erreichen ist schon nicht ohne. Es ist wunderbar, daß es dort dieses herrliche Haus gibt, aber es ist im Grunde vollkommen unzeitgemäß. Es rechnet sich nämlich nicht. Wer tut sich das heute noch an, und steigt 4 1/2 Stunden in die Höhe, legt 1400 Höhenmeter zurück, eh er sein Nachtlager erreicht? So lange dauert es, bis man von Stegenwald im Salzachtal hinauf den Windischriedel gekommen ist, wo das Haus steht. Wo sich die Leute schon wegen 5 Minuten Zugverzögerung aufregen? Etwas "schneller" geht es vielleicht auf dem Weg über die Eisriesenweltseilbahn und das Oedlhaus, aber wenn man alles in allem nimmt, dann kommt es wieder auf die gleiche Zeit hinaus.

Der Weg zum Happischhaus

Bei Stegenwald > Blick aufs Bäreck
Wer schützt die Ruhe der Berge vor
dem Lärm der Autobahn?
Die verfallene Grünwaldalm >
Hagengebirge
Das Plateau kommt näher
   
   
Spalte am Weg

Bei der Steinernen Stiege

Das Bäreck von hinten
Prachtkarren
Erste kleine Höhleneingänge

Der westliche Teil des Pitschen-
bergtals

Tiefe Trichter am Weg

und schöne gelbe Blumen

Die verfallene Pitschenbergalm

mit der Lacke

Pitschenberglacke

Am Windischriedel gen Osten

Am Windischriedel

Blick zum Happischhaus

und Richtung Wieselsteine

Das Happischhaus
- ein selten gewordenes Refugium
Blick aus der Wirtsstube

Werbeplakat für die Eisriesenwelt

  Abends am Happischhaus
   
Vor dem Happischhaus

nach Osten und

Süden

Das Pitschenbergtal nach Westen
Das wächst dort auf 2000 m Seehöhe
"Höhle" einer anderen Dimension -

der Eingang zu einem Murmeltierbau

 
Im östlichen Pitschenbergalmgebiet
Eine Schäferhütte am Weg
Bodenstudien in 2100 m Plateauhöhe
 

Ist man nun auf dem Happischhaus, dann ist man immer noch weit vom Sandkar entfernt. Der Hüttenwirt kennt da eine Abkürzung mit einer 3er Kletterstelle dazwischen, aber normalerweise geht es erstmal 1 1/2 Stunden über das Plateau durchs hintere Pitschenbergtal. Ist man dann endlich in 2100 m Seehöhe, dann sieht man eine Schäferhütte vor sich. Bei ihr geht es dann endgültig noch einmal 100 Höhenmeter hinauf bis auf einen Sattel und dann ist der Blick frei, sofern es das Wetter erlaubt, aus Sandkar.

Da liegt es vor einem - zieht sich von links nach rechts als eingetiefte Oberflächenform durchs Plateau. Es gilt nun wieder abzusteigen und sich weglos durchs Gelände zu bewegen. Kein Problem. Kurzgrasige Flächen, kleines Geröll, eine Schafherde. Erst dem Nordende zu wirds es wieder felsiger - und dort beginnen die Höhlen. Überall tun sich Löcher auf. Nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche scheint sich Hohlraum an Hohlraum zu öffnen. An vielen Stellen ist die Decke durchgebrochen und man kann in die Tiefe blicken - meist nur ein paar Meter, weil dann Schutt jede Fortsetzung blockiert. Aber es gibt auch größere Karstformen, tiefe Dolinen, lange Rillenkarren, Höhlenportale. Und an vielen Stellen schon sind Leichtmetallplättchen mit den Katasternummern.
So stellen wir später fest, daß wir tatsächlich die altbekannte Thorhöhle gefunden und ein paar Meter besucht hatten, ohne das wirklich vor Ort schon realisiert zu haben. Auf der anderen Seite der riesigen Grube davor sieht man schon den Marhofkogel und das Karstgebiet daneben, in dem die größte Höhle hier liegt, das Altherrenlabyrinth. Geht man in diese Richtung, was gar nicht mehr mühelos ist, dann findet man die Marhofkogelhöhle ganz leicht, wegen ihres großen Portals.

Der Weg durchs Sandkar

Der Blick von der Scharte
ins Sandkar

Westen < > Osten

Die verbringen ihren Sommer dort
Perforierter Boden
Dolinen fast jeder Größe
Löcher, Löcher, Löcher
 
 
 
Alfred und Klaus unterwegs
Karren - Rinnen im Fels
  Ein Blick auf den Boden
Thorhöhle

- zweitlängste Höhle des Gebiets

Rot umrandet: das Plakettenschild
für jede Höhle
 

Thorhöhleneingänge
Von der Thorhöhle Richtung
Marhofkogel und Altherren-
labyrinth

Steinerner Riesentrichter

Marhofkogelhöhle

 

Blick zum Eingang der
Marhofkogelhöhle

Blick von der Höhle Richtung
Thorhöhle

Ideal für Suppenfreaks:

wilder Schnittlauch

 

Schachtöffnung am Weg

 

 


Laut der Liste der längsten und tiefsten Höhlen Salzburgs, veröffentlicht auf der Webseite des Landesvereins für Höhlenkunde Salzburg, sind die bedeutendsten Höhlen dieses Gebiets Anfang August 2011:

- Altherrenlabyrinth 15.000 m
- Gamskar-Eishöhle 11.592 m
- Offenbarungs-Eishöhle 10.544 m

- Schneeloch oder Kuchelbergalmschacht - 1.109 m


 

Seit über 20 Jahren führt der Landesverein für Höhlenkunde in Salzburg schon alljährlich im Sommer ein Forschungslager im Sandkar durch. Nie bin ich dabei gewesen. Auf der Jubiläumstour in die Eisriesenwelt übermannte es mich. Ich wollte auch mal mitkommen und meldete mich an. Anfang August sollte es sein, vom 3. bis zum 7.  Es gibt ja mehrere Zustiege. Der populärste ist wohl der über die Eisriesenwelt, dann über den Bergsteig hinauf Richtung Hochkogel, hinunter wieder zum Happischhaus und von da in 2 Stunden ins Sandkar. Das Happischhaus ist natürlich auch vom Tal aus erreichbar, dann dauert es länger, weil der Höhenunterschied beträchtlich ist, man hat aber nicht die exponierten Flanken der Südwände des Tennengebirges zu durchzustehen. Von Norden her führt auch ein "Weg". Er beginnt in Scheffau, wobei der erste Abschnitt auf einer Forststraße vom Tal herauf bis zu einer Parkfläche in knapp über 1000 m mit dem Auto zu befahren ist. Dazu muß man sich den Schlüssel besorgen und 10 Euro Maut bezahlen. Das ist einfach ein kleiner Obulus dafür, daß die Straße schließlich auch erhalten werden muß. Und das dürfte allerhand Anstrengungen, auch finanzieller Art, verlangen.

Diesen Weg wollte ich nehmen. Als ich in Scheffau die Hauptstraße verließ, herrschte noch strahlendes Sommerwetter. Kaum ein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Es war noch immer angenehm warm, aber nicht mehr so brütend heiß, wie zu mittag. Deshalb begann ich die Tour ja erst gegen 3 Uhr. Kurz vor 4 war die Parkplatz oben erreicht, wo ein weiterer Fahrweg abzweigt, der allerdings nur noch von 4-W-Fahrzeugen zu bewältigen ist. Es geht etwa 100 Höhenmeter hinauf bis zu einem Hochstand. Ab da geht es dann bergwegmäßig los. Erst geht es durch Jungwald bequem dahin, aber dann ändert sich das. Etwa dort begegnete mir eine junge Bergwanderin in roter Bluse und mit großer "Alpenstange". Sie hatte schon was mitbekommen vom Wetterumschwung. Innerhalb kürzeter Zeit hatte sich der Himmel mit Wolken bedeckt und es begann, mal mehr mal weniger zu regnen. Ich hätte mindestens noch eine Stunde bis zur Kuchelbergalm hinauf. Von da komme sie gerade her. Sie stieg ab und ich einsam hinan.

Nirgends ist hier ein Hinweisschild zu sehen, man muß sich schon auskennen oder es halt erraten, welchen der wenigen Abzweiger man unterwegs besser nehmen sollte, um sein Ziel zu erreichen. Mein Rucksack war groß und schwer. Tatsächlich hätte ich volumenmäßig nicht mehr mehr untergebracht. Der Deckel ging gerade noch zu. Und gewichtsmäßig war ich auch an meiner Tragegrenze. Und dabei hatte ich sogar mein Steigzeug und eine Reepschnur zurückgelassen. Dafür war kein Platz mehr. Es dürften bald 25 kg gewesen sein, die ich da in meiner Kraxe hatte. Die wollen hochgestemmt sein, Meter für Meter, keiner wird einem geschenkt.

Unterwegs stellte sich immer wieder die Frage, wo es denn eigentlich weiterging. Die Jäger kennen hier sicherlich jeden Stein, aber jemand, der sich hier nicht auskennt? Das wuchernde Grün, vor allem großblättrige Pflanzen bedecken alles, auch die paar Trittspuren, die Menschen zwangsläufig hinterlassen. Irgend jemand hat ab und zu ein kleines Steinmännchen errichtet, an denen man sich gerne orientiert. Gute Motivationsdienste lieferte der Höhenmesser in meiner neuen LUMIX-Kamera, die bis auf den Meter genau die Höhe anzeigte. So sah ich auch in Zahlen den Fortschritt, der natürlich auch am Bewuchs bemerkbar war. Oberhalb des Nadelwaldes begann die Latschenzone und eine Wiesenfläche. Auch nicht zu übersehen war das Riesenportal des Schneelochs. Bis zur Kuchelbergalm gab es einen Wege - aber dann?

Vor 30 Jahren waren wir vom Sandkar über die Dunklen Gruben hierher abgestiegen, irgendwie, weglos, und waren tatsächlich hier heil angekommen. Ob ich den "Weg" hinauf auch finden würde? Auf eine Markierung oder eine Pfadspur hoffte ich vergebens. Nirgends war so etwas zu sehen. Ich ging erst einmal zu den Kuchelbergalmen. 2 Stunden hatte ich gebraucht, weil der Weg wirklich anstrengend für mich gewesen war. Nun war es schon fast 6 Uhr. Ob ich mich noch weiter hinauf aufmachen sollte? Fast die Hälfte des Höhenunterschieds hatte ich schon, aber nun würde der ziemlich weglose Teil erst anfangen. Zeitlich würde es vielleicht noch reichen, aber wettermäßig? Ständig wechselten sich Regenschauer mit kurzen Pausen ab. Wenn ich es nicht schaffen würde, die Fata Morgana zu erreichen, müßte ich irgendwo im Freien die Nacht mir um die Ohren schlagen. Als Regenschutz hatte ich eine Jacke dabei, mehr nicht. Da begann es richtig stark zu regnen und ich fand gerade noch unter dem Vordach der Hütte ein wenig Platz. Wenigstens hier erreichte mich das Wasser nicht. Ich beschloß, nicht weiterzugehen und hier bei den Almen zu übernachten. Eine Alternative dazu gab es ja nicht.

12 Stunden verbrachte ich im Schlafsack, geschlafen habe ich natürlich auch, weil die Erschöpfung einfach sehr groß war. Der Morgen brachte keine Änderung, eher im Gegenteil. Dicke Nebelschwaden verhüllten auch noch die Felswände oberhalb des Schneelochs zusätzlich. Dann hörte es auch mal wieder auf zu regnen und die Hoffnung stieg, daß es vielleicht doch noch sinnvoll möglich wäre, wenigstens einen Versuch zu starten, ganz hinauf zu kommen. 600 Höhenmeter wären es noch gewesen, nicht wenig, aber noch machbar. Und dann begann es wieder zu schütten. Die Regenrinnen sammelten das Wasser und leiteten es zu einer großen Plastiktonne, die längst schon überlief.

Gegen 9 Uhr entschied ich endgültig, daß ich wieder absteigen würde. Einfach fand ich die Entscheidung nicht, öfters zwischen Hoffnung und Resignation hin- und herschwankend, aber es war auch niemand anderer da, mit dem ich das diskutieren hätte können. Als der nächste große Schauer einsetzte, da hatte ich kein schützendes Dach mehr über mir und es prasselte voll auf mich herunter, aber ich war schon 50 Höhenmeter tiefer. Eine Abzweigung gab es da, nach rechts, Richtung Röth-Eishöhle. Ob ich nicht besser diesen Weg nehmen sollte? Ich versuchte es mal, ging 20 m weiter, aber dann tat sich gleich ein Problem auf: Ging es nach rechts oder nach links weiter. Nach rechts wäre eine glatte zerfressene Platte zu überqueren, nach links schienen schon andere Leute nach unten durch eine Latschengasse auch schon gegangen zu sein. Ich durch die Gasse, aber unten schien nichts mehr weiterzuführen. Nur noch dichtes Blattwerk überall. Hier herumsuchen? Mit fast 25 kg auf dem Rücken? Das würde ich nicht lange aushalten. Zurück - auf den Weg, den ich gekommen war und hinunter. Langsam verlor ich an Höhe.

Dann kam mir der Weg auf einmal komisch vor. Da sollte ich gestern schon gewesen sein? Komisch. Es ging wieder bergauf. Ja, an einer Stelle war ich gestern ein wenig nach unten gegangen, aber war es wirklich hier? Aber es gab halt nur diesen Weg, auf was anderes war ich nicht gestoßen. Also weiter. Weit vor mir war auf einmal etwas zu sehen. Ein Gegenstand. Mühsam ging es darauf zu. Ein Gummitier lag da am Weg, etwas, was man Kindern zum Baden mitgibt. Von der Form her wohl ein Maulwurf. Ein Zeichen! Von wem? Für wen? Für mich? Niemand war da, den ich fragen hätte können. Jedenfalls war nun klar, ich hier noch nie gewesen war! Also zurück! Nur wie weit? Immer den schweren Rucksack mitzuschleppen, da verminderte deutlich den Radius. Ich ließ ihn unter einem Baum zurück und erkundete sehr erleichtert den Weg. Rucksackfrei bekam ich schnell wieder eine ganze Weltsicht. So konnte ich eher wie ein Gamsbock herumhüpfen, sonst eher wie eine schwere Wildsau mich mühsam durchs Gelände kämpfen.

An einer bestimmten Stelle verloren sich alle Pfadspuren. 10 m rechts vom angenommenen Weg lag eine kleine Steinplatte frei auf einer großen Steinplatte - eine Wegmarkierung? Fußspuren gab es da auch, bloß nirgends einen Weg. Es war zum Verzweifeln. Sollte ich einfach weglos hier absteigen? Es einfach probieren? Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit, z.B. beim Abstieg vom Gottesackenplateau Richtung Schneckenlochhöhle,  ließen mir das nur als allerletzte Möglichkeit erscheinen. Ich ging zurück zum letzten Stück "gesicherten Wegs" und suchte weiter. Ein Tierknochen lag da, Reste eines Kiefers, beim genauen Hinschauen sah ich dann auch den Schädel dazu, der war mir am Tage zuvor noch nicht aufgefallen. Weiter und weiter ging ich, aber nirgends war ein Abzweiger zu sehen. Der Weg begann wieder anzusteigen. Ich kehrte um und ging zurück zum Rucksack. Es schien keinen Sinn zu haben. Ich mußte wohl dem Weg über den Plastikmaulwurf hinaus folgen. Die Spuren am Boden zeigten, daß hier Menschen gegangen waren, aber wo waren die hergekommen? Die waren nicht eingeflogen hier, aber ich konnte sie nur vorwärts verfolgen. Es ging steil bergauf, links und rechts taten sich kleine Schachtöffnung auf. Hier war ich sicherlich nicht gestern hergekommen. Ein Blick auf den Höhenmesser gab letzte Sicherheit: 1.490 m. Ich war fast wieder so hoch wie in der Frühe. Keinen Meter verloren. Das machte keinen Sinn, wenn ich ins Tal absteigen wollte. Mit dem Rucksack hinten drauf war mir jeder Schritt nach oben sehr schwer gefallen. Runter ging es dreimal so einfach. Meistens. Als ich bei einem Schritt auf eine vermeintliche Stufe meine 120 kg Gesamtgewicht, mit Rucksack, dorthin setzte, gab die plötzlich nach und ich sackte senkrecht nach unten, direkt in eine Felsmulde voller schwarzem Erdschlamm. Platsch, machte es. Alles wurde blitzschnell nass und dunkelerdig, die kurze Hose, außen und innen, die Arme, der Rucksack. Und dann wieder herausfinden aus der "Käferstellung" (vor vielen Jahren hat diesen herrlichen Ausdruck jemand geprägt, niedergeschrieben in einem SCHLAZ-Artikel über eine Höhlenforschungstour ins Steinerne Meer, um das komplexe Verhältnis zwischen Träger und Getragenem unter Schwerkrafteinfluß bildhaft zu beschreiben), wieder eine vertikale Position zu erreichen, wo doch ein schweres Gewicht einen massiv nach hinten zieht. Der Ausflug in die Zone jenseits des Maulwurfs hatte nichts gebracht. Da war ich beim Aufstieg nicht gewesen. Aber ich war von der Kuchelbergalm auf dem Weg nach unten hier angekommen. Also mußte irgendwo dazwischen irgendwo des Rätsels Lösung liegen. Hinterher läßt sich leicht räsonieren. Aber wenn man tatsächlich in der "S....." steckt, dann ist die Situation gar nicht mehr lustig. Wenn man dauernd einen schweren Rucksack mit sich schleppt, dann wäre durchaus eine Problemlösung, sich dessen einfach zu entledigen und ihn einfach irgendwo liegen zu lassen und zu vergessen. Das wäre eine Notnotlösung. Noch war es nicht so weit.
Die Tatsache, daß es diesen Bericht darüber gibt, zeigt, daß ich eine Lösung gefunden habe. Aber davon war ich noch eine halbe Stunde entfernt. Mangels wirklich charakterischer Erdoberflächenformen, weil nämlich alles ziemlich gleich aussah, versuchte ich halt mir vorzustellen, wo ein Mensch, viele Menschen, der/die durch dieses Gelände gehen möchte/n, dann auch gehen würde/n. Den Rucksack hatte ich mal wieder zurückgelassen und suchte ohne ihn. Man sieht, es war kein Spaß mehr. Ein schmales horizontales Weglein schien aus der Zone, wo ich den "Urweg" vermutete wegzuführen. Die Bestätigung sah ich bald - eine Naturbrücke tat sich da auf. Ein paar Blicke rundherum. Vielleicht gab es da ja einen verbrochenen Höhleneingang? Leider nein. Aber ich war um eine Hoffnung ärmer für meinen Weg zurück ins Tal. Ich hatte schon Schwierigkeiten zu den halbwegs sicheren Teilen des "Wegs" zurückzufinden. Ob ich überhaupt noch den Weg zurück zur Kuchelbergalm finden würde, den ich vor einer Stunde herabgekommen war, wenn ich da wirklich wieder zurückkehren wollte? Ich war mir nicht mehr sicher. In Richtung "Maulwurf" kam mir das Gelände schon sehr viel bekannter vor.

Und dann die Auflösung des Rätsels: Eine ganz schmale Pfadspur zweigte da nach links ab. Erst war ich mir nicht sicher, ob das überhaupt ein Pfad war, setzte den schweren Rucksack ab und ging ihm ein paar Meter nach. Tatsächlich, hier schien die Schlüsselstelle zu sein. Hinter einem großen Nadelbaum ging es weiter nach unten. Ich hatte den Weg wieder gefunden! Zurück bei der T-Stelle war auf einmal alles klar. Ein Blick in die Umgebung: 3 Meter entfernt thronte ein kleines Steinmännchen, das einem zeigte, daß man "richtig" war. Aber das Richtigsein ist halt immer sehr relativ, denn es kommt halt auf die Ziele an, und die hängen halt sehr an den Umständen. Ich habe mir die Freiheit genommen und die zwei Steine näher an den Begegnungspunkt der Wege zu stellen. Am Abend zuvor war ich einfach nach rechts abgebogen und hatte damit natürlich keinerlei Ahnung, wie es links davon aussieht. "Deep in my mind" ist schon eine Ahnung davon, schließlich bin ich schon in den 70er Jahren des letzen Jahrhunderts hier schon mal gewesen und wir sind zur Röth-Eishöhle und anderen in der Umgebung aufgestiegen. Aber mein Gedächtnis hat nicht mehr diesen Genauigkeitsgrad nach so vielen Jahren, daß ich mich daran noch erinnern hätte können.

Was ist "selbstverständlich"? Wenig. So viele Dinge funktionieren, glücklicherweise, Flugzeuge im Flug zum Beispiel, meist, aber dann gibt es da auch andere Situationen. Flugzeuge stürzen ab, treffen sich in der Luft und kollidieren tatsächlich, obwohl so viel Raum rundum gewesen wäre. Da gibt es einen Weg, einen?, und du findest ihn einfach nicht mehr. Ich war richtig dankbar dafür, daß ich am Ende dieses richtigen "Abenteuers", obwohl das wirklich nicht so gedacht war, wieder gesund bei meinem Auto am Parkplatz angekommen bin.

Als ich den Schlüssel in den Briefkasten werfen wollte, da kam mir der ".....bauer" schon entgegen, die Folgen eines schweren Unfalls gerade auskurierend. Der Himmel hatte gerade wieder alle Schleusentore geöffnet. Egal, ich wurde halt nass. Er erzählte mir, daß der Wetterbericht ziemlich schlecht sei, viel Regen und Aufhellungen dazwischen. Natürlich suchte ich nach Rechtfertigungen für meine Entscheidung, wieder abzusteigen und mich nicht durchzubeißen bis zu Sandkar. Die Natur lieferte sie mir gratis.

Stunden später durchquerte ich Salzburg und es war schon wie eine schöne bayerische "Watschn": der Untersberg erglühte im Abendlicht der untergehenden Sonne. Warum hatte ich nicht ausgeharrt unter dem Hüttendacherl? Alles hat Grenzen.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Literatur:

Klappacher, Walter

Besuch im Sandkar, Atlantis Heft 1/2 - 2002
Pointner, Peter, Klappacher, Walter DIe Sandkar-Expeditionen des Landesvereins für Höhlenkunde in Salzburg, Die Höhle 2004, S. 124
Pointner, Peter Die Expedition des LVfHK in Salzburg im Tennengebirge Sandkar 2007, ATLANTIS 1-2 2009, S. 10-35
Pointner, Peter Sandkar Expedition 2008, ATLANTIS 3-4/2010, S. 3-31
Pointner, Peter Sandkar Expedition 2009, ATLANTIS 3-4/2010, S. 32-42

Links:
 

http://www.sbg.ac.at/mat/staff/revers/tenn101.html

http://www.sbg.ac.at/mat/staff/revers/tenn103.html

 

Landschaft und Höhlen im Tennengebirge

Landschaft und Höhlen im Land Salzburg.htm

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