Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Zigeunerloch bei Gratwein

Steiermark


Am Zigeunerloch bei Gratkorn kann man gut sehen, daß ein Naturphänomen von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich gehen werden kann und daß keineswegs immer eindeutig festgelegt ist, um was es sich denn gerade handelt. 

Evolutionsbiologen sprechen da zum Beispiel von der "Doppelfunktion" von Dingen. Viele Dinge haben mehrere Funktionen, die oft in Haupt- und Nebenfunktionen unterschieden werden. Fischer nennt da z.B. den Kugelschreiber, "dessen Hauptfunktion das Schreiben ist. Wir können können ihn aber dazu verwenden, die Uhr im Auto zu stellen." (Fischer 314). Die Idee in Bezug auf die Evolution besteht nun darin, daß sich die Natur dadurch entfalten kann, dass sie Nebenfunktionen zu Hauptfunktionen werden läßt und auf diese Weise ganz andere Anpassungen erreicht.

Das Zigeunerloch liegt am Fuße des "Hausberges" bei Gratkorn direkt an einer viel befahrenen Straße zwischen Gratkorn und der nächsen Autobahnauffahrt Gratkorn-Nord der Pyhrnautobahn, 100 m von der Mur entfernt. Wer keine Ortskenntnis hat kann leicht daran vorbeifahren und bekommt gar nichts mit. Wenige Parkplätze sind vorhanden und die sind oft belegt, denn hier liegt einer der beliebtesten Klettermöglichkeiten in der Umgebung von Graz.

Um eine typische Höhle handelt es sich hier nicht, eher nur um einen Felsüberhang, der rund 25 m breit ist, fast 20 m hoch und 20 m tief. Ganz hinten gibt es eine Stollenöffnung, die erst im Zweiten Weltkrieg in den Berg gesprengt worden ist und die heute mit Mauer und Tür abgesperrt ist. 

Die erste urkundliche Erwähung erfolgte in einem "Landesfürstlichen Gesamturbar" aus dem Jahr 1265, wo ein  "Foramen" erwähnt ist, womit wohl die Höhle als auch die Burganlage darüber bezeichnet worden ist. Die Nutzung der Höhle geht viel weiter zurück. 1878 begannen die ersten Grabungen und wurden mehrmals später fortgesetzt. Inzwischen gilt der Ort bei den Archäologen als "eine der wichtigsten Fundhöhlen des steirischen Raumes". In den obersten Schichten fand man noch Spuren aus dem Mittelalter wie die Skelettreste von 2 Pferden, weiter unten in den Schichten kamen Objekte aus der Römerzeit wie Münzen, dann hallstattzeitliche Keramik, noch tiefer ging es bis in Paläolithikum, von wo man etwa  1.200 Steinwerkzeuge fand und zahlreiche Knochenschnitzereien, die einige der ältesten Kunstwerke der Steiermark bilden. Nun ist die Höhle weitetgehend ausgeräumt.

Nutzen läßt sich das Felsdach immer noch, was lange Zeit hindurch von "umherziehenden Zigeunern" (Kusch 102) getan wurde. Heute wäre es diesem Personenkreis sicherlich an dieser Stelle viel zu geschäftig, denn dort hat man sicherlich keine "Ruhe" mehr. Sie ist nun als idealer Klettergarten, auch "Kletterspot" oder "Kletterarena" genannt, entdeckt und entwickelt. 1988 soll das richtig losgegangen sein mit der Erstbegehung der Route "Zigeunerbaron", die als eine der ersten österreichischen 10er Schwierigkeitsgrad bestimmt wurde. Man müsse schon mindestens den "oberen 9ten Grad drauf haben", so der Text auf einer Webseite, sonst würde man lediglich an den Wänden seitlich vom Zigeunerloch was geeignetes finden. 47 verschiedene Routen kennen die Insider heute dort, die so phantastische Namen tragen wie "Gräfin Maritza", "Fuchs du hast die Gans gestohlen", "Zigeunerradl 7a" oder "The battle rages on".

Die Halbhöhle ist natürlich in erster Linie ein Naturobjekt und das wurde mit der 1998 von den Behörden ausgesprochenen Erklärung zum Naturschutzgebiet in den Vordergrund gerückt. Vorausgegangen waren Untersuchungen auch des Fledermausbestandes, wobei festgestellt wurde, daß es sich hier um den Ort mit der größten Fledermausartenvielfalt der Steiermark handelte - und das trotz all des Trubels und des Treibens der Menschen und des Aufruhrs durch den Verkehrs in der Ungebung. Und den Felsentauben und Dohlen scheint es auch nicht viel auszumachen, denn hier sind die reichlich zuhause. 

So haben wir viele Nutzungen hintereinander und gleichzeit: Lebensraum von Mensch und Tier, Zufluchtsort im Krieg, challenge spot. 

     
     

Literatur:

Fischer, Ernst Peter Die andere Bildung - Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte, Ullstien, 3. Auflage, München 2001
Kusch, Heinrich und Ingrid Höhlen der Steiermark, Graz 1998

Links:

https://www.bergsteigen.com/touren/klettergarten/zigeunerloch/

https://climbing.plus/klettern/1009-kletterspot-zigeunerloch

https://www.outdooractive.com/de/poi/graz-und-umgebung/zigeunerloch/21852032/

https://www.verwaltung.steiermark.at/cms/beitrag/11680638/74838132/

https://www.meinbezirk.at/graz-umgebung/c-lokales/felsentauben-und-dohlen_a4026108

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrStmk&Gesetzesnummer=20000503

https://www.gbl-outdoor.com/media/topo-oberes-zigeunerloch-gratkorn-grazer-bergland-klettergarten-oberes-zigeunerloch-13403.pdf

https://www.my-klettern.de/Kletterfuehrer/Graz-Zigeunerloch

https://www.zobodat.at/pdf/MittNatVerSt_125_0225-0234.pdf

Speläologisches in der Umgebung von Peggau


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