Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

A neiche Hoin
- die "Karrenhöhle"


7. September 2004 Erstbefahrung


"..to explore the last frontier and 'stand where no one has stood before"
Jim Eyre, The Cave Explorers, p 264


Eine neue unbekannte Höhle entdecken, keine 100 m von begangenen Bergwanderwegen weg? "Viel" möchte ich nicht gerade schreiben, denn unter "viel" heißt heutzutage einiges. Ist nicht, zumindest bei uns in Europa, nicht jeder Fleck schon x-mal übertrottet worden, wenn nicht von Menschen, so doch mindestens von Rindviechern, Ziegen oder sonst etwas.

Im Ende August 2004 scheint mir und Harald Kipke so eine heute selten gewordene Gelegenheit zuteil geworden sein. Die übliche Vorgeschichte. Auf der Suche nach einer bekannten Höhle keine Ahnung gehabt, wo die wirklich liegt, sich verlaufen und am Ende ganz woanders erfolgreich gewesen.

Anders als bei vielen anderen "Trichtern" im Gebiet zwischen Almberg und Appelhaus tat sich da am Grund ein richtiges Loch auf. Wäre da nicht ein kleines zusätzliches Löchlein, das ein einfaches Durchschlupfen erlaubt, wäre schon am Eingang Abseilen nötig. Leicht abfallend gehts in den Berg.

Ich vermute mal, daß die Örtlichkeit schon lange auch anderen bekannt gewesen ist. Aber vielleicht war der Eingangstrichter einfach immer mit Schnee zu. Der Klimawandel auf unserer Erde führt ja in vielen Höhlen dazu, daß sie aufgehen und erstmals eine Befahrung möglich macht.

Wieder daheim begann ich gleich mit der Literaturrecherche, aber die ergab ein negatives Ergebnis. Ein paar Telefongespräche waren nötig, sogar den Mitgliedsantrag zum Landesverein für Höhlenkunde in Obersteier habe ich noch weggeschickt, dann war der rechtliche und personelle Weg geebnet, um am 7. September 2004, einem Dienstag, zu einer richtigen Forschungsfahrt in die unbekannte Höhle zu starten. Lehrer oder Rentner (Arbeitsloser ginge auch noch) muß man wohl sein, wenn man zu so einem Zeitpunkt mitten in der Woche in das Tote Gebirge aufbricht.

Reinhard Wagner und Harald Kipke kamen tatsächlich am Vorabend gegen 7 Uhr beim Staudenwirt an und es wurde noch ein sehr gemütlicher Abend. Schließlich ist die "alte" Wirtin besonders auch um die "Höhlenforscher" bemüht, die sich bei ihr treffen. Schließlich hat sie ja schon lange Erfahrung auch mit den Forschern aus Cambridge, die alljährlich kommen.

Um 6.30 Uhr hieß es am nächsten Morgen aufstehen. Das vorbereitete Frühstück stand stand schon auf dem Tisch, heißer Kaffee war in der Kanne, alles war bestens vorbereitet. Ein herrliches Kaiserwetter war draußen, beste Bedingungen für unser Unternehmen. Den Weg kannten wir ja schon bestens, allerdings hatten wir diesmal die volle Höhlenausrüstung mit dabei, die erst einmal hochgetragen werden wollte, 850 Meter hinauf auf steilem, aber gutem Weg mit prachtvollen Ausblicken auf den Dachstein und den Grundlsee.

3 Stunden später standen wir wieder vor dem Eingang. Er liegt doch eine schöne Strecke schon im Plateau und zielich weit entfernt von der Schneekegelhöhle. Die ersten 100 Meter waren schon bekannt. Ein Seil wurde wieder beim Abstieg befestigt und ermöglicht den Abstieg in die unteren Teile. Ein kleiner fossiler Flußtunnel nimmt einen auf. Bis auf die Spur von Harald war alles unberüht hier unten. Soweit es ging, bemühten wir uns, auf möglichst wenig zu verändern. Der Gang knickt auf einmal nach rechts und wird allmählich immer breiter, bald 10 m erreicht er. Dann kommt eine kleine Kletterstufe und der Gang kriegt immer größere Dimensionen, noch eine Stufe und wir waren in einem Mordstunnel. Auf dem Boden lauter Schotter, in den noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hatte.

Ein Lebewesen war schon mal dagewesen, aber hatte sein Leben hier ausgehaucht - eine Fledermaus, die verwest auf einem Felsen lag.

Die Spannung hätte nicht größer sein können. Was würde noch kommen? Leider kam viel zu schnell das "Ende"! Es ging einen schmaler werdenden Gang nach unten, der am Schluß völlig mit Schotter und Sand verfüllt war. Die geologische Situation spricht Bände. Wenn hier mal Leute mit viel viel Enthusiasmus versuchen würden, sich da durchzugraben! Möglicherweise wird ihnen da mal der Wind die Staubkörner in die Augen blasen! Im Moment ist da einfach Schluß.

Wir drehten um, aber auf dem Rückweg wurde noch ausgiebig fotographiert und in einige Seitenteile hineingeschnüffelt. Das sind alles Zubringer, die in diesen großen Sammler münden. An einer Stelle gabs sogar richtigen Luftzug bei einer Engstelle. Bei der Untersuchung stellte sich aber heraus, daß er nur zu einem nach oben führenden Canyon führt.

Eine Aufgabe ist jetzt noch offen: die Vermessung. Die werden wir zum baldigst möglichen Zeitpunkt auch noch machen, dann wird wohl solange wieder hier Ruhe einkehren, bis mal Leute mit Maulwurfsneigungen mit viel Begeisterung hier mal weitermachen werden.

Wegen des unverhofften schnellen Endes unserer Tour hatten wir noch Gelegenheit, "a oide Hoin" anzuschauen. Ich bin damals dabei gewesen, Anfang der 80er Jahre, als wir durch meine Ortsunkenntnis erstmals auf die "Schneekegelhöhle" zufällig stießen. Komisch, gibts da einen Zusammenhang? Dem Zufall wird in unserer auf ihre Exaktheit so stolzen Zeit viel zu wenig Raum geboten, um auch wieder Neues zu entdecken. Durch die genaue GPS-Steuerung erreicht man sein Ziel heute recht gut, aber gerade im Verirren und Nicht-mehr-wissen-wo-es-eigentlich-lang-Geht liegt ja ein ganz starkes Innovationspotential.

Nach langem Suchen fanden wir dann tatsächlich den wirklich schwierig zu entdeckenden Eingang. Alle Geschichten von herumliegenden Kreuzottern hatten uns nicht abhalten können, es auch selber wieder zu versuchen. Ich habe das Tier gar nicht bemerkt, das auf unserm Weg lag, erst Reinhard erzählte mir später davon. Sie biß uns nicht.

Langsam wurde es abend und so war nur noch ein kleiner Abstecher in diese inzwischen wieder ins Licht der Höhlenforscher gerückte Höhle möglich. Das Eis ist inzwischen stark zurückgegangen, das noch in den 80er Jahren die Gänge am Ende verschloß. Nun ist es weg und es tun sich neue Forschungsperspektiven auf. Der Nachwuchs der FHKF ist gerade dran, sich da tiefer in den Berg "hineinzuwurmen".

 

Eine Höhle zu entdecken, das bringt für mich auch eine Verantwortung mit sich. Sie einfach nur zu entdecken und dann gleich weiterzuziehen zur Nächsten - im übertragenen Sinn, das reine Jungfrauenhopping, das mag ich nicht. Sie sollte schon auch gut dokumentiert sein, es sollte eine Beschreibung davon geben, Fotos und einen Plan. Um ihn zu erstellen, dafür gingen 5 Leute zwischen dem 16. und 18. September 2005 auf die Walz. Reinhard, Helmut, Alex, Alfred und ich. Ansbach, Ingolstadt, Gröbenzell, Seeon, das waren unsere Ausgangsorte. 24 km Stau hatte Alex schon auf der Nürnberger Autobahn zu erleiden, vor dem Brunntaldreieck warnte uns das Autonavigationssystem in Reinhards A6 davor und brachte uns ziemlich reibungslos hinüber ins Salzkammergut. Um 2 Minuten nach 9 Uhr trafen wir am Ziel ein, beim Staudenwirt an der Straße von Bad Aussee zum Grundlsee. Wir wurden noch gut bewirtet und fanden am nächsten Morgen auch ein sehr reichliches Frühstücksbuffett mit Kaffee und Tee in Thermoskannen schon um 6.30 Uhr vor. Draußen spielte sich allerdings Dramatisches ab. Der Himmel hatte alle Schleusen geöffnet und aus denen ergossen sich Gießbäche auf unsere Erdoberfläche. Bei so einem Wetter 1000 Meter in die Höhe steigen? 4 Stunden Fußmarsch bis zum Appel-Haus vor sich haben und dazwischen drin noch in eine Höhle gehen? In unseren Seelen keimten schon Zweifel an unserem Vorhaben. Aber nun waren wir schon mal da! Ein Zurück wurde nicht zugelassen. Alles Gepäck kam wieder in den Kofferraum des geräumigen Kombis und los ging es.

Regenschirme und Kapazen bewahrten uns einigermaßen vor dem Übelsten. Zwei Felsunterstände, unter denen Sitzbretter da waren, wurden von uns höchst wertgeschätzt, als Kurzzeitrastplätze. Wir schafften es, Schritt für Schritt. Unterwegs kam uns eine Herde Kühe entgegen, die gerade ins Tal getrieben wurde. Daß die den Weg benutzt hatten, das merkten wir vor allem durch die unendlich viele Scheiße, die als braunes Band der Wegspur folgte.

Um die Mittagszeit standen wir wieder vor dem Eingang der Höhle, die ich vor einem Jahr, zusammen mit Harald Kipke gefunden hatte. Der Dauerregen von oben zwang uns zum sofortigen Rückzug in die Höhle. Am Eingang duschte ein Wasserfall direkt hinein. Er stürzt aus einem Felsloch herunter, der den höchsten Punkt des Systems bildet. Gleich dahinter wurde es richtig trocken. Ein humanes Umziehen war möglich auf dem flachen Felsboden in dem aufrecht zubegehenden Gang, der sich anschließt. Diesen Eingangsteil vermaßen wir ganz zum Schluß, auch in der Hoffnung, daß vielleicht bis dahin der Regen wieder aufgehört haben könnte, was allerdings am Ende nicht der Fall war. Helmut am Brett, Reinhard an den Meßgeräten, Laserentfernungsmaßgerät und Suutokompaß und -neigungsgerät, ich an der Taschenlampe, die den Meßpunkt markieren sollte, und mit einem Nagellackfläschchen (verruchte Farbe) bewaffnet, mit dem ich die Meßpunkte markierte. So schlängelten wir uns durch die nun auf gut 200 m Länge endgültig vermessene Höhle. Wir gaben uns große Mühe. Da wurden dann sogar Nebengänge aufgesucht, in denen vorher noch nie ein Mensch vorher gesteckt hatte. An der Unberührtheit des Untergrunds war das sofort abzulesen. Sie haben aber nirgends wirklich weiter fortgeführt, sondern endeten wieder nach wenigen Metern.

An den Eingangsteil schließt sich ein zweistufiger Schachtteil an, den wir mit einem Gemisch aus Seil und Reepschnüren versicherten, und den wir alle je nach Gusto meisterten. Vom Freiklettern bis zur Komplett-SRT war alles möglich. Unten knickt der Gang rechtwinklig ab und wird immer geräumiger. Dementsprechend stieg auch die Länge, der mit einem Zug vermessenen Strecken. Der Laser machte es möglich. Der Gipfelpunkt war ein 25 Meter-Meßzug fast vor dem Ende des Tunnels.

Alfred und Alex waren schon vorausgeeilt und hatten Spaten und Eimer dabei. Uns war irgendwie in Erinnerung geblieben, daß das Ende aus einem verschlämmten Sandschluf bestehe. Dem wollten die Beiden zu Leibe rücken. Sie haben es versucht, mit vollem Herzen, aber die Höhle ist stärker. Was da für ein Einsatz nötig wäre, das übersteigt wohl menschliches Maß. (Wegen des Eimers kam mir beim Brainstorming, wie wir denn diese Höhle nennen könnten, die Idee, sie doch "Eimergrotte" zu nennen - was Zwerchfellbewegungen ausgelöst hat, weil es einfach paßt und halt auch nicht!) Es gibt da wohl noch viel mehr an "Höhle", aber die ist gründlichst in den Teilen des derzeitigen Endes wieder mit Schotter verfüllt. Die uns heute noch zugänglichen Teile, die enthalten an vielen Stelle noch Reste einer noch größeren Wiederverfüllung der Höhle, die nun wieder freigelegt sind.

Gegen Ende der Vermessung entdeckte auf einmal einer von uns einen Vermessungspunkt. Wo der herkam - wir hatten zum Zeitpunkt, als wir das feststellten, keine Ahnung, wer sich das "angetan" hatte. Gab es da so eine Art "Konkurrenzkampf"? Ich vermesse diese Höhle "schneller" als du! Ich bin der Erste! In wem wohnen solche Gedanken? Wir haben unsere Vermessung zu Ende geführt, obwohl wir schon beeinflußt waren von diesem seltsamen Meßpunkt. Aber warum sollten Höhlen nicht mehrfach vermessen werden? Kein Höhlenplan ist wirklich "objektiv" - was ist das denn? Überall kommt der "menschliche Faktor" hinein, und der färbt einfach alles.

Eine kleine Entdeckung unterwegs in der Höhle war noch viel schockierender. Ein Karbidhaufen war da! Irgendeiner hatte da sein Altkarbid auf dem ansonsten wohl nur in der Menschheitsgeschichte von 4 bis 6 Menschen vor ihm betretenen Höhlenboden ausgeschüttet! 5 Minuten bis zum Eingang! Unsere "Eimertruppe" hat diese Umweltsauerei effektiv beseitigt!

Ich schreibe mal was Häßliches: "Hat die unbekannte Schnellvermessertruppe keine Zeit mehr gehabt, ihr Altkarbid wieder bis zum Eingang mitzunehmen?" Hat es so pressiert?

Alle kamen gut wieder beim Eingang an, ein Großteil des Höhlengraffls wurde von uns zurückgelassen, denn am nächsten Tag kamen wir beim Rückweg vom Appelhaus dort ja noch einmal vorbei.

Morgendliche Regendusche beim Staudnwirt

Unser "Kübelgirl" Alex, das Küken
Rain, rain, rain

rocky shelters
unterwegs
 
 

2 Stunden Marsch lagen noch vor uns. Dann waren wir beim Appelhaus angekommen. Dort verlebten wir einen schönen, einsamen Hüttenabend. Der Grund war das Wetter. Der Dauerregen hatte alle bewogen, lieber im Tal zu bleiben, am Ende schneite es sogar richtig. Richtige Winterstimmung machte sich breit, weil alles ein weißes Kleid übergezogen bekommen hatte. Wir versammelten uns um den Ofen, dem angenehmsten Punkt rundum, der aber nur langsam immer mehr Wärme abgab. Im Vergleich zu den Preisen im Tal war sowohl Nächtigung als auch Speis und Trank angemessen bepreist. Und der Wirt spendierte uns am Ende sogar noch eine große Runde Wacholderschnaps!

Am nächsten Morgen lag noch immer alles unter einer Schneedecke, die allerdings im Laufe des Tages schon wieder begann, wegzuschmelzen.

 

Bei der Höhle wurde eine kleine Außenvermessung noch vorgenommen und, man darf mich wirklich manchmal nicht ins Gelände lassen, am Ende fand ich sogar wieder einen neuen Höhleneingang, einen von weiter weg überhaupt nicht wahrzunehmenden Schacht. Er bekam von uns den Namen "Kükenschacht", weil unser Nesthäkchen, Alex Bengel, die noch nie vorher "Neuland" gemacht hatte, als erste sich die paar Meter hinunter abseilte und erkundete, ob es unten nicht weiterginge. Es war nicht auszuschließen, daß hier eine Fortsetzung zu den höchsten Teilen der Karrenhöhle bestehen hätte können. Tatsächlich war nach ca. 3 Metern leider schon wieder an einer unschliefbar engen Kluft ein Ende erreicht. Bedeutendster Fund war das Skelett einer Gams, die hier hinein gestürzt war. Ein Hinauskommen ist nicht mehr möglich - eine Tierfalle.


Das Laser-Distanzmeßgerät

Alfred in Hochform
 

Weitere zwei Stunden später hatten wir den Parkplatz beim Grundlsee wieder heil erreicht.


Das Ende vom Lied - ein Gepäckhaufen im Heck des A6 - alles paßte rein!

Die Vermessung hat ergeben, daß die Höhle eine Länge von 206 m hat (ein paar Meter kommen aus einem noch nicht vermessenen Seitengang hinzu) und immerhin einen Gesamthöhenunterschied von 60 m.


Im Februar 2009 stellte sich nun heraus, daß "unsere" Höhle gar nichts Unbekanntes war. Schon 1989 war sie von Richard Frank vermessen worden und ein Tuscheplan im Maßstab 1:500 war damals aufgenommen worden. Damals hatte man ihr den Namen "Mini-Luckn" gegeben. Nun werden die beiden Pläne zu einem vereinigt, unserer hat Strecken, die auf dem ersten fehlen und umgekehrt. Am Ende wird Helmut Miedaner ein weiteres seiner Meisterstücke hervorbringen! Trotzdem, Spaß hat es großen gemacht! Es hat Begeisterung hervorgelockt, Enthusiasmus. Mehr können wir nicht bekommen während unserer Lebenszeit. Der Eine dort, der andere wo anders.


Literatur:

Auer, Alfred Die bedeutensten Höhlen der Grundlseer Berge (Totes Gebirge), VM Obersteier 1/1983, 1. Teil, S. 6ff.
Auer, Alfred Die bedeutensten Höhlen der Grundlseer Berge (Totes Gebirge), VM Obersteier, 2. Teil, S. 29ff.
Lindenmayr, Franz A neiche Hoin - Die "Karrenhöhle" im Toten Gebirge / Österreich 1624/195, in: Ingolstädter Höhlenfreunde, Jubiläumsheft zum 25-jährigen Vereinsjubiläum, Ingolstadt 2006, S. 72ff.

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