Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Schatzloch bei Wiedemannsdorf, Allgäu


Im Höhlenkataster der Bayerischen Alpen hat das Schatzloch die Nummer 1 in der Katastergruppe 1153 Salmaser Höhe - Hauchenberg und bislang ist kein weiteres speläologisch interessantes Objekt dort bekannt und erfaßt worden. Das ist auch kein Wunder, denn das Gestein im Untergrund der mit Wiesen und Wäldern bedeckten Bergflanken besteht aus Nagelfluh, und das ist nicht gerade günstig für die Bildung natürlicher unterirdischer Hohlräume.

Um das Schatzloch ranken sich schon alte Geschichten. Fahrende Gesellen hätten dort einen Schatz gehoben, auch Räuber hätten dort ihr Standquartier gehabt. Das ist wegen der Entlegenheit und Schwierigkeit des Findens einerseits nicht ganz unglaubwürdig, allerdings ist "Standquartier", angesichts der geologischen Situation, nicht angebracht. "Stehen" kann man dort allenfalls im Eingang und das nur im Quadratmeterbereich. Für längere Aufenthalte hätte sich das Loch nie geeignet.

Einen besonders interessanten historischen Hinweis auf die Höhle gibt es auf einer steinernen Tafel, die allerdings wirklich erst gefunden werden will, denn sie liegt da, was auf englisch "right in the middle of nowhere" heißt, versteckt, mitten im Wald an irgendeiner Felswand. Hinweise drauf gibt es nicht. Auf ihr steht: "Bauernfliehburg beim Schatzloch - letztmals bezogen 1647 im Schwedenkriege".

Den Einheimischen war die Höhle sicherlich schon lange bekannt. 1937 brachte der Pfarrer von Wiedemannsdorf, Pfleghart, ein Höhlenbuch in einer Kassette in die Höhle. Dort hinein haben sich wohl auch Leo Schelle und Sepp Fuchs eingetragen. Sepp Fuchs hat im "Schönen Allgäu" einen aus historischer Sicht höchst bemerkenswerten Bericht über eine Tour im Jahre 1940 darüber verfaßt. Man kann darin sehen, wie sich die innere menschliche Wahrnehmung einer Höhlentour verändert (..beladen mit dem Schatze der Erinnerung an eine interessante Fahrt kehrten wir heim), die verwendeten Hilfsmittel (Fackeln, Laternen, Maßband), den Zeitverbrauch (..nach sechsstündiger mühsamer Arbeit) und die äußeren Umstände: "..Hände und Ohren brannten uns als Erinnerung an den überstandenen Kampf mit den Riesenbrennesseln. Durch wildes Gestrüpp bahnten wir uns einen Pfad zum Eingang."

Eine erstaunlich alte Erwähnung fand die "Wiedemannsdorfer Höhle" bereits 1832 im Werk von Cammerer. Da heißt es u.a. "Ihr Eingang ist beschwerlich; denn man muß hineinkriechen; übrigens führt sie weit fort im Bauche des Berges, so, daß man ihr Ende zu erforschen, noch nicht gewagt hat. Denkende Naturfreunde hegen den Kummer, daß diese Höhle dereinst zu einem Bergsturze Verlassung geben könnte." (S. 232)

1974 wurde die Höhle durch die HFG Allgäu schließlich nach rein sachlichen und professionell wirkenden Kriterien untersucht, vermessen und publiziert. Man ermittelte 48 m Länge und 10 m Tiefe, wobei ein paar kleine Seitengänge unvermessen blieben. Ein Gangteil war nur dem "dünnsten Kameraden" zugänglich, der sich am Ende der normal befahrbaren schrägen Spalte befindet. Dort kam er noch in eine kleine Halle und bis zu einem noch unbefahrenen Schacht. Dazu muß man allerdings die entsprechende "Kleinheit" haben, "Größe" klingt schon ein bißchen daneben.

Es war wohl im Jahre 1994, da versuchten es Willi Adelung und ich, in der Hand die Lagebeschreibung von Nagel haltend, die Höhle zu finden. Es wird da Bezug auf einen "Hungerbach" genommen, allein, wenn man auf einer Landkarte schaut, da findet man die Namen nicht. Da gibt es nur blaue Striche. Wir suchten trotzdem von unten nach ziemlich weit oben die/eine Bachschlucht ab und fanden nichts. Wer sich wirklich auskennt, für den machen letztlich die Worte: "...weglos steil den Hang aufwärts, bis man schließlich in einen mit wilden Nagelfluhbänken durchsetzten Tobel gelangt." Letztlich stimmen die Worte, aber wo nun wirklich die "wilden Nagelfluhbänke" waren, die wir suchten, das fanden wir nicht mehr an diesem Tag heraus. Letztlich gelangten wir auf der Gipfel der Salmaser Höhe und dann wieder auf einem anderen Weg herunter ins Tal. Eine kleine "Wunde des Mißerfolgs" blieb und der Wunsch blieb, doch eines Tages, die Höhle zu finden.

Juni 2009. Es war wieder soweit. Wir hatten Zeit und suchten die Höhle. In Wiedemannsdorf suchten wir nach einem Schild, aber es gab keines als Hinweis auf das Schatzloch. Wir fragten einen Eimheimischen und der wußte ein wenig Bescheid. Den Hungergraben kannte er, der sei nicht weit von unserem Parkplatz beim Schullandheim, bei dem wir parkten. Und da müsse man halt dem Weg bergauf folgen. Heute wissen wir, daß man die "Burgangeralpe" suchen muß. Von dort ist es nicht mehr schwer, zur Höhle zu kommen, sofern man Bescheid weiß. Ein wenig blöd ist nur, daß es zwei Wegschilder gibt, die in vollkommen unterschiedliche Richtungen weisen, um dorthin zu kommen. Wir folgten einem Schild und begannen den steilen Aufstieg. Kehre und Kehre ging es hoch, erst über aussichtsreiche Weiden, vorbei an der Wannerles-Alm, dann hinein in den Wald. Rechts neben uns tauchte eine dramatische Schlucht auf, in die sich der kleine Bach gefräst hatte. Sollte das Schatzloch darin liegen? Wohl nicht, denn wir waren viel zu weit östlich. Gibt es dort vielleicht auch eine Höhle? Wir haben nicht nachgeschaut. Eine Verzweigung führte nach rechts Richtung Salmaser Höhe, nach links ging es Richtung Stiners-Alm. Dort galt es, sich an den Kühen vorbeizuschleichen und den Graben zu gewinnen. Willi meinte sich noch daran erinnern zu können, daß uns dort schon einmal vor 15 Jahren aufgehalten hätten. Eine Schlucht mit einer steilen Nagelfluhwand und einem schwarzen Loch drinnen war durch die Bäume sichtbar - das Schatzloch? Ich mühte mich ab, eh ich dann tatsächlich unterhalb dem großen breiten schwarzen Maul stand, das auch nicht ganz leicht überwindbarer Höhe herunterglotzte. Sollte das die gesuchte Höhle sein? Oder lag sie vielliecht noch höher im Graben? Die gesamte Situation sah nicht gut aus und ich ließ schon alle Hoffnung fahren. Wieder einmal hatten wir es wohl umsonst probiert. Draußen auf der Almwiese war der Blick frei auf eine nahe Almhütte. Vor ihr stand ein Mann, der uns heftig zuwinkte und Gesten machte, die wohl bedeuteten, daß wir zu ihm hinaufkommen sollten. Wir ließen uns darauf ein, denn vielleicht wußte ja dieser Mann, wo sich dieses verdammte Loch denn im Berghang versteckte.

Es stellte sich heraus, daß wir einen Joker gezogenn hatten. Der Almhirte der Burganger-Alm, ein rüstiger Rentner, kannte die Höhle ganz genau und war auch bereit, uns hinzuführen. Auf einmal war alles ganz einfach. Von der Hütte aus gingen wir leicht absteigend westwärts, mal runter, mal rauf, und auf einmal war da tatsächlich der Tobel mit den wilden Nagelfluhbänken. In der Umgebung weist eigentlich nichts daraufhin, daß da solche Felsen sind, aber sie existieren tatsächlich. Und dann ist da die Tafel, hoch oberhalb von einem an der Wand festgemacht. Und ein bißchen herumgeschaut: Schon ist da das aufrecht begehbare Eingangsportal der Höhle im geneigten Hang auszumachen. Auf einmal ging ein Handy und wir wurden Zeugen folgenden Gesprächs: "Hallo Schatzi, ich bin jetzt beim Schatzloch." Wie passend.

Will man sich nicht sein Gewand versauen, empfiehlt es sich, einen Schlaz mitzunehmen. Auf die Mitnahme einer richtigen Karbidlampe kann man verzichten, schon einmal aus Gewichtsgründen. Viel gibt es nicht zum Ausleuchten. Die Felsspalte, die man kurz hinter dem Eingang erreicht, ist so schmal dimensioniert, daß man sich wirklich nicht verlaufen kann. Nach rechts zieht sich ein äußerst niediger Gangteil, der aber bald endet. Interessant ist allenfalls die Spalte im Konglomerat, in der man sich, seitlich eingezwängt wie Schinken und Käse zwischen zwei Toastscheiben, gerade so fortbewegen kann. Mit einem sehr großen Bauch wird man es wohl nicht mehr packen, schlanken Zeitgenossen wird es nicht mal ein Lächeln entlocken, was da bei einem 100-Kilo-Mann für Gedanken entstehen. Zu sehen ist nicht wirklich viel. Man kann sich an den verbackenen Kieseln ergötzen, die das höhlenbildende Gestein ausmachen, leichte Ansätze von Sinter an der Wand sind zu sehen, wenige millimeterlange Sinterröhrchen hängen von der Decke, einige Wurzeln künden von der Nähe von Bäumen oberhalb der Höhle. Von den Fledermäusen, die möglicherweise zu manchen Zeiten im Jahr noch immer die Höhle aufsuchen, war nichts zu sehen. Hoffentlich wird aber nicht auch diese Höhle auf Grund dieses Hinweises noch zugesperrt!

Die Tour verlief reibungslos, das Tageslicht war schnell wieder erreicht, wie haben die das früher bloß angestellt, daß sie 6 Stunden dort verbracht haben? In dieser Zeit haben wir die gesamte Tour hinter uns gebracht, einschließlich Wegunkenntnsi, Verlaufen, glücklicher "Rettung", kompletter Höhlenbefahrung und Abstieg. Der war ziemlich gesalzen. Es führt sogar ein Fahrweg bis hinauf zur Burganger-Alm, aber der hat sehr steile Passagen. Und die sind auch für Fußgänger strapaziös. Erst zum Schluß sahen wir dann, was da alles zu unserem Verwirrtsein beigetragen hatte. Den "Burgangerweg" gibt es nämlich, abknickend, zweifach. Da geht ein Teil nach rechts und einer nach links - und woher soll ein wegunkundiger Zeitgenosse jemals wissen, welchem Abschnitt der denn folgen soll? Und das Schild "Hungerbach" haben wir auch erst gesehen, obwohl es ja dauernd an seinem Platz gewesen war, als wir wieder vom Berg zurückkamen. Wieviel mehr Sicherheit in der Ortsanalyse hätten wir gehabt, wenn wir das schon frühzeitig gelesen hätten!

Aber im Grunde war es gut so, wie wir es erlebt haben. So war der "Abenteuerfaktor" unendlich viel größer! Wenn alles genau nach Strichliste oder GPS-Koordinaten oder sonst etwas geht, und all die Werte wirklich stimmen, dann geht so viel auch "verloren"! Wenn man einen "Führer" dabei hat, der einen einfach zum gewünschten Ziel leitet, dann gibt es da keine Unsicherheiten mehr, keine wirkliche Aufregung. Glückliche Fügungen, wie wir sie etwas mit dem Auftauchen des "Almhirten" erlebt haben, die braucht man dann nicht mehr - und doch sind gerade sie das wirkliche "Salz in der Suppe", sie machen so eine Sonntagstour zu etwas Einmaligem und Unvergesslichen, das nie mit auch noch so viel Geld jemals zu "kaufen" ist oder mit noch so viel "Macht" erzwungen werden kann. So etwas wird einem "geschenkt" oder man schenkt es sich selber.

Typisch Allgäu? Unterkriechen eines Stacheldrahlweidezauns

Noch nicht untersuchte Höhlung

 

Literatur:

Cammerer, Anseln Andreas Caspar Naturwunder, Orts- und Länder-Merkwürdigkeiten des Königreiches Bayern für Vaterlandsfreunde, sowie für kunst- und naturliebende Reisende, Kempten 1832
Fuchs, Sepp Und nochmals eine Höhlenfahrt: Das Schatzloch bei Thalkirchdorf, Das schöne Allgäu, Nr. 5, 1941, S. 69
Stahl, Reiner Beschreibung zweier Nagelfluhhöhlen des Allgäus, Beiträge zur Höhlen- und Karstkunde in Südwestdeutschland, Heft 7, 1975, S. 3ff.

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