Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Hölloch im Engelstein, Chiemgau, D


...the tales grow like grass on such a patch
G.K. Chesterton, THE ABSENCE OF MR GLASS


Was ist wohl passiert, ehe sich die Menschen Geschichten wie die folgenden ausgedacht und später weitererzählt haben: Im "Hölloch" einer kleinen Höhle im Engelstein im Chiemgau würden "Wilde Frauen" leben und es gäbe einen von einem schwarzen Hund mit feurigen Augen bewachten Schatz in diesem Berg. Auf der Eisenkiste liege aber auch noch eine lange Schlange mit dem Schlüssel im Maul. Außerdem habe man, auch noch häufig, ein großes schwarzes Pferd mit weißer Bläß aus dem Hölloch kommen sehen, das dann auf die Weide gegangen sei. Man findet diese Geschichte in der frühesten bayerischen Sagensammlung, der von Franz Panzer, die auch eine Menge Sagenhaftes über Höhlen enthält.

Solche rätselhaften Geschichten haben bis heute ihre Faszination nicht verloren und so ist es eigentlich kein Wunder, daß zum Beispiel im Mai 2002 eine geführte Wanderung zum Engelstein und den Wilden Fräuleins vom Fremdenverkehrsverein in Bergen angeboten worden war.

Am 21. Mai 2002 war ich mal mit Willi Adelung unterwegs, um mal die hard facts dieser Sagen selber mal zu sehen. Wir fuhren mit dem Auto hinauf nach Pattenberg, einem herrlich einsamen Weiler oberhalb von Bergen mit einer Prachtsicht über den Chiemgau. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Wirtshaus, das im übrigen höchst empfehlenswert ist, kann man den fahrbaren Untersatz stehen lassen und auf einem Schotterweg vorbei an einer Damwildzucht bergwärts streben. Etwa eine halbe Stunde dauert es, dann hat man auf beschildertem Forstweg den Engelstein (den "schönen Felsen mit zwei Spitzen, von welchen vor vier Jahren eine abgebrochen ist" Panzer) erreicht, einen Kalkfelsklotz, der über alles übrige einfach hinausragt und von einem Gipfelkreuz gekrönt ist.

Bloß, wo war das Geheimnis? Wo waren die Sagenhöhlen? Der wilde Hund? Die wilden Fräuleins? Bei Panzer heißt es geradezu provozierend: "In diesem Felsen sind tiefe Höhlen. Den Eingang in dieselben bildet eine tiefe, abwärts gehende Höhle, welche man Hölloch heißt. Einige Stufen sind noch sichtbar. Ein Raum, sieben Fuß lang, fünf Fuß breit und ziemlich hoch, heißt die Kirche. Nahe bei diese ist eine Küche (?) mit dem Herdstein."

Wir suchten nach diesen rätselhaften Räumen. War Panzer jemals dort gewesen? Hatte er sich selber mal vergewissert, was er da aufgeschrieben hatte? Nun, sieben Füße sind nicht viel. 7x ca. 30 cm sind 2m++ und 5 Fuß breit, d.h. 1,50 m hoch. Ein Herdstein? Beim Aufstieg zum Gipfel des Engelsteins kommt man an so eine bessere Felsnische. Da ist in Hüfthöhe eine weitere Vertiefung nach hinten. Nicht tief, aber für einen "Herd" würde es schon reichen. Wenn es regnet, dann könnte man sich dahinein zurückziehen. Würde den Kopf zumindest solange trocken behalten, bis es von oben auch mal zu tropfen begänne. Ein Wohnraum für 3 Frauen? Ziemlich klein.

Da wäre die kurze Durchgangshöhle in dem Felsklotz vor dem eigentlichen Engelstein schon ein bißchen besser geeignet gewesen. Eine Art Canyonrest durchbricht das Überbleibsel einstiger geologischer Vorgänge. Leicht absteigend kommt man in einen kleinen Eingangsraum, in dem wir noch die Reste eines frischen Lagerfeuers vorfanden. Talwärts versperrten dicke Baumstämme in Bodenhöhe den ungehinderten Ausgang. In einer Felsnische lagen noch ein paar Eierkartonreste, wohl Hilfsmittel, um das Lagerfeuer zu entzünden. An die Wände waren vollkommen unidentifizierbare Bilderkritzeleien gemacht worden. Ansonsten war alles ziemlich sauber. Ein Blick nach unten zeigte sofort das nächste Höhlenportal. Begangene Pfade zeigten, daß wir wirklich nicht die ersten hier waren. Wie eine Höhlenruinenzone wirkt das hier alles, und wir können gerade noch die letzten Reste davon ausmachen.

Der Engelstein selber ist von mehreren Seiten zu erklimmen. Folgt man dem ausgetrampelten Hauptpfad, dann kommt man auf einen Kamm, der auch zu den beiden anderen Gipfeln führt. Wenn überhaupt, dann lohnt sich auch der Westgipfel. Er hat noch ein schönes Felsfenster, da ich mir dann auch noch angeschaut habe. Steckt man den Kopf hinein, dann fällt sofort der starke Wind auf, der durchstreicht. Sich an einigen Baumwurzeln festkrallend, kommt man auf das kleine Gipfelplateau, von dem aus man einen schönen Blick auf den Hauptgipfel hat.

Ein bißchen enttäuscht waren wir schon. Von einer "tiefen, abwärts gehenden Höhle" hatten wir gar nichts gesehen. Alles reiner Humbug? Wir lassen uns nicht gerne unsere Illusionen nehmen, weshalb ja auch die Hoffnung so keimt. Jedenfalls versuchten wir es auf der Nordseite des Engelsteins noch einmal und suchten den Wandfuß nach weiteren Höhlen ab. Immer wieder gab es da so eine "verdächtig" aussehende Stelle, aber jeder genauere Blick darauf enthüllte sofort, daß da der Wunsch, der Vater des Gedankens gewesen war. Nichts. Bis auf eine Höhlenöffnung in der Wand am Westende des Felsstocks. Richtig schwarz sah es da aus, eine Höhlenöffnung, vielleicht 2 auf 2 m. War das der direkte Zugang zur Hölle? Felsstufen lagen zwischen mir und dem Loch. Probieren oder nicht? Die Neugier siegte. Die müden Glieder nicht schonend versuchte ich es. Ein zentimeterdicker Hollunderstrauch diente als "Griffchen", ein festes Greifen ins Gras, dann war endlich wieder ein Stück Holz in meiner Hand, ein letzter Aufschwung. Der Vorplatz war erreicht, zuerst mal wurden alle Gedanken an den Rückweg verdrängt. Jetzt war ein Blick in die Höhle möglich. Und gleich das Ende wieder gesehen. Eine Felswand hinten. Röhren für Mäuse führten noch weiter bergwärts. Ein paar Felslaugungsformen, sonst nichts. Runter ging es leichter, alle Graspolster hielten. Ein tiefes Durchschnaufen am Ende.

Ganz zum Schluß sahen wir dann vom Weg aus in der Wand eine ganz ähnliche Felsöffnung, wie die, in die ich mich hinaufgetraut hatte, einige zehn Meter östlich davon, oberhalb einer Felsstufe, die ich noch nicht gesehen hatte. Ist das vielleicht der Eingang ins sagenhafte Hölloch. Ein Kletterer kommt da sicherlich gut rauf. Ob auf ihn da auch nur der Frust warten würde?

Ein bißchen was gibt es also hier, aber das liegt alles weit unterhalb der von den Sagen geweckten "expectations". Trotzdem, ein schöner Spaziergang ist da schon hierauf, ein prima Gasthaus gibt es auch und jetzt noch ein paar letzte Reste aus den Sagen: Die drei wilden Fräulein hätten "von einer Felsspitze zur anderen ein Seil gespannt, auf welchem sie spielten und tanzten. Das sahen alte Leute sehr oft. Eine der wilden Frauen liebte den Gieselbauer auf dem Battenberge, welcher einen Gürtel hatte. Die wilde Frau sagte ihm, er soll seiner Frau den Gürtel umbinden. Da aber der Bauer Unheil ahnte, band er den Gürtel zuvor um einen Baum, welcher von demselben sogleich zerrissen wurde. Eine der wilden Frauen verstand die Heilung der Kranken. Bisweilen hörte man aus der Tiefe schönen Gesang. Wenn die Bauern mit der Heuernte beschäftigtet waren, hörten sie einen Hahn aus der Tiefe krähen, und sie glaubten, es sei eine Hühnersteige in den Höhlen."

 

 

 

Literatur:

Cramer, Klaus Erläuterungen zur Geologischen Karte von Bayern 1:25000, Blatt Nr. 8241 Ruhpolding, 1970
Panzer, Fr. Bayerische Sagen und Bräuche, Band 1, Verlag Otto Schwartz & Co, Göttingen 1954
Steinbacher, Dorothea Magisches Oberbayern, AT Verlag, Aarau und München 2010

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