Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Das Höhlensystem von Niaux-Lombrive-Sabart, Ariège, F


Südlich des Städtchens Tarascon-sur-Ariège in den Pyrenäen liegt das Massif von Cap de Lesse am Zusammenfluß der Flüsse Ariège und Vicdessos. Der höchste Punkt erreicht gerade 1189 m. Der Berg ist durchlöchert von einem gewaltigen Höhlensystem. In dem 1981 erschienenen Buch über die großen Höhlen Frankreichs von Claude Chabert, heißt es, die Höhle habe eine Länge von ca. 8 km Der Gesamthöhenunterschied lag damals bei 417 m, wobei ein Großteil davon auf die Bezwingung des Schlots "Abîme Martel" geht, der im Laufe von fast 60 Jahren Erforschungszeit schließlich auf eine Höhe von + 364 m erkundet wurde. Im Internet findet sich 2010 eine Informationsquelle, die nennt 39 km als Gesamtganglänge, die auf 7 verschiedenen Niveaus verteilen würden. Das Gesamthöhlensystem umfasse mehr als 200 Eingänge. Im Berginnern gibt es riesige Räume. Der "salle de la cathedrale", der von der Lombriveseite aus zugänglich ist, ist so groß, daß darin die Kirche von Notre-Dame in Paris Platz hätte. Es gibt noch einen größeren Raum, den "salle de l'empire de Satan", die noch 3 bis 4 mal größer sei.

1990

Am bekanntesten ist sicherlich die Höhle von Niaux wegen ihrer prähistorischen Malereien. Der riesige Eingang ist bereits vom Tal aus in 150 m Höhe über dem Talboden des Vicdessos sichtbar. Erreichbar ist er ganz einfach über eine Fahrstraße, die beim Ort Niaux abzweigt. Unterwegs kommt man an einem weiteren großen Portal vorbei, der Eingang in die Petite Caoungo, die früher einmal direkt mit dem Niaux-System verbunden war, in den letzten 10.000 Jahren aber irgendwann einmal durch geologische Vorgänge wieder abgekoppelt wurde. Warum man das so genau weiß? Eine Gruppe von Pfadfindern und der Höhlenführer René Clastres haben nämlich 1949 von der Niauxhöhle aus einen Gang gefunden, der direkt zum Ende der Petite Caoungo bis auf wenige Meter führt, wobei mehrere Siphone geleert werden mußten. Groß war das Erstaunen, als man dann dort prähistorische Zeichnungen und Fußspuren von Kindern im Lehm entdeckte!

Dort, wo sich heute das spektakuläre Empfangsgebäude, ein Werk von Emiliano Fuksas, einem italienischen Architekten, befindet und der große Parkplatz im Höhlenrachen, war ursprünglich gar nicht der Haupteingang in die Höhle. Der originale Eingang liegt etwas weiter westlich und Verbindung dazu wurde erst über einen künstlichen Tunnel hergestellt.

Bekannt war die Höhle schon immer. Regelmäßige Besuche lassen sich seit dem 17. Jahrhundert nachweisen. Es gibt nämlich hunderte von Graffitis mit Jahresangaben und Namenszügen an den Höhlenwänden. Schon im 19. Jahrhundert erwähnt der sieur Claustres, Dorflehrer in Capoulet, daß es in der Höhle Zeichnungen von Rindern und Pferden gäbe, aber man maß dem keine große Bedeutung zu. Der Prähistoriker Garrigou schrieb in seine Aufzeichnungen unter dem Stichwort: Niaux: Es gibt Zeichnungen an den Wänden. Was soll man damit anfangen? Es dauerte bis 1906, ehe anläßlich einer genauen Vermessung der Höhle durch den Kommandanten Molard gewissermaßen offiziell die Höhlenwandkunst aufgenommen wurde und von den Koryphäen ihre außergewöhliche Bedeutung bestätigt wurde.

Hauptsächlich sind Pferde (29) und Bisons (54) dargestellt, außerdem noch 15 Steinböcke, Hirsche und sogar Fische. Stilanalysen ergaben, daß sie aus dem Magdalenien stammen, also der Zeit zwischen 12.000 und 9.000 vor unserer Zeitrechnung. Warum man sie an die Höhlenwände gezeichnet hat, das ist auch noch ein Rätsel. Die früheren Interpretationen, daß es sich da um einen Jagdzauber gehandelt hätte oder um einen Fruchtbarkeitskult, sie waren Versuche von Erklärungen, mehr aber auch nicht. Das Rätsel bleibt.

Wer heute die Höhle besucht, der geht die ersten 800 Meter im Höhlensystem zum größten Teil auf den orginalen Böden durch oft groß dimensionierte Tunnels. Wenig Einbauten hat man nur gemacht, so daß man meist die Höhle im Urzustand erlebt. Es gibt auch keine elektrische Beleuchtung, sondern man drückt den Besuchern kleine elektrische Lampen in die Hand. Man geht nur in Gruppen von maximal 25 Personen, so daß es keinen Massenauflauf gibt. Außerdem ist die Zahl der Besucher pro Tag streng beschränkt, so daß man sich in den Hauptbesuchszeiten schon Tage vorher um einen Platz bemühen muß. Uns ging es im Juni 2010 auch so. Wir kamen am Abend erst an und konnten gerade noch bei den Besuchern der letzten Führung am nächsten Tag dabei sein.

Eine spannende Frage ist auch, warum gerade an dieser Stelle und nicht an einer anderen die Malereien angebracht wurden. Eine mögliche Antwort sind die akustischen Eigenschaften des Platzes. Man hat dazu Untersuchungen auch im Salon noir angestellt und verblüffende Resultate erzielt.

Für den normalen Höhlensucher ist beim Salon noir Schluß und es heißt umkehren. Dabei geht es einfach weiter in den Berg hinein. Höhlenforschern aus Toulouse ist es schon 1953 gelungen, eine Verbindung zur Höhle auf der anderen Seite des Berges herzustellen, der Lombrive.

Auch sie ist heute für Besucher zugänglich gemacht. Man erreicht sie von Tarascon her kommend, in dem man der Ariège aufwärts Richtung Ussat folgt. Große Schilder zeigen einem, daß man sich der "Größten Höhle Europas" nähere. Ich weiß nicht, womit die Schauhöhlenbetreiber diese anmaßende Zuschreibung rechtfertigen. Vom kleinen Parkplatz aus überquert man erst einmal die Straße, folgt einen schmalen Schotterweg aufwärts und gelangt so zu den kleinen hölzernen Kassenhäuschen. Man hat die Auswahl, wie man zum Höhleneingang gelangen will, zu Fuß auf staubiger Piste oder für 2 Euros im Petit Train, diesen traktorgezogenen Wägelchen. Man hat auch die Auswahl zwischen unterschiedlichsten Führungen. Da gibt es die Standardführung, die etwa 1 Stunde dauert, aber auch noch andere Touren mit immer stärkerem speläologischen Einschlag.

Die großen Portale waren immer schon bekannt und so haben sich sicherlich schon viele mehr oder weniger dramatische Szenen dort abgespielt. Erzählt wird, daß sich dort schon die Räuber, die Eremiten, die Leprakranken, die Hirten und die Falschmünzer dort aufgehalten hätten. Im Jahre 1244 soll sich der Katharerbischof Amiel Aicard nach dem Fall der Burg von Montségur dorthin zurückgezogen haben. Besonders gerne wird die Geschichte kolportiert, daß 1228 in der Höhle 500 Katharer eingemauert worden seinen und elend zu Grunde gingen. Das war wohl ein Versuch, sich einen Reim auf die vielen Menschenknochen zu machen, die in der Höhle zu finden sind. Eine ganze andere Erklärung ist die, daß hier einmal ein Friedhof aus der Hallstattzeit war, was Datierungen der Knochen bestätigten.
Während der französischen Revolution zogen sich verfolgte Adelige hierher zurück. In der ältesten datierbaren Inschrift soll 1578 der König Henry IV, damals König von Navarra, erwähnt werden.

Die Höhle wird für viele Zwecke heute genutzt, seien es nun Banquette, Jazzkonzerte, Vortragsveranstaltungen oder kultische Einweihungen. Es soll einen entlegenen Ort in der Höhle geben, den die Freimaurer noch heute für ihre Rituale hernehmen, so erzählte uns jedenfalls der Führer.


Der Zugang zur "größten Höhle Europas"!

Im September 2018 war ich für ganz kurze Zeit in der Gegend. Leider war das nicht lange genug, um auch noch die Höhle wieder zu besuchen. Ich hatte zuvor, wie so mancher andere Höhlenphotograph auch, ein freundliches Email bekommen, in dem mir die Möglichkeit offeriert wurde, beim nächsten Besuch auch photographieren zu können. Was für ein Stimmungsumschwung! Großartig! Beim nächsten Male...


Ankündigungstafel an der Straße

 


In der Nähe von Tarascon, gleich nach der Abzweigung in Vicdessostal, liegen kleinere Steinbrüche. Ganz in der Nähe führt ein Steiglein in die Höhe und direkt zu den leicht sichtbaren großen Eingangsportalen der Grotte de Sabart. Riesenräume gibt es auch hier, so den "Grande Salle" mit 200 m Länge und 60 m Höhe. 3 km lang sind die bekannten Räume mindestens und es besteht zumindest ein hydrologischer Zusammenhang mit dem Lombrive-Niaux-System.

 
 
  1995 aufgenommen

Literatur:

Chabert, Claude LES GRANDES CAVITÉS FRANCAISES; 1981
Clottes, J. Niaux: Die altsteinzeitlichen Bilderhöhlen an der Ariège, 1997
Minvielle, P. Grottes et Canyons, Ed. Denoel, Paris 1977
Renault, Philippe Glacier et Hydrothermalisme dans la karstification Réseau de Niaux-Lombrive-Sabart, Atti Convegno Int. le sul carso di alto montagna Imperia, 1982, 1 (1983): 170-172

Links:


[ Index ] [ Englisch version ] [ Höhlen und Höhlengebiete ] [ Kunst ]
[ HöRePsy ] [ Höhlenschutz ] [ VHM ] [ Veranstaltungen ] [ Links ]