Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Landschaft und Höhlen bei Divnogrye - Voronezh, Russland


Höhlenkirchen in Südwestrussland


"Divnogorje" heißt "Wunderbares Gebirge" und liegt 120 km südlich von Voronezh/Woronesch, das wiederum 500 km südlich von Moskau liegt. Hier "geht die Auenlandschaft des Don in die Steppenlandschaft über" (Baedecker586). Kreidefelsen treten hier zutage im Gebiet, wo der Don und die Tichaja Sosna (Stille Sosna) zusammenfließen. 

Besonders landschaftsbildprägend sind die schroffen Kreidefelszacken am Talrand. Auf russisch heißen die "diva" von "divo"-"ein Wunder. Einstmals waren 28, heute sind es nur noch 9, die anderen wurden zerstört, aus Dummheit oder aus "Sicherheitsgründen".

> Ein tote Giftschlange am Weg

 

Nach einer Legende geriet vor 800 Jahren eine sizilianische Ikone an diese Stelle, und genau dort begannen Mönche aus den Felsen eine Höhlenkirche zu schlagen. 15 Mönche, beschützt von 10 Kosaken, hätten dieses Werk Mitte des 17. Jahrhunderts vollbracht (Pleitgen 121) und ein Kloster daneben errichtet. Katharina die Große ließ das Kloster 1786 schon wieder schließen, 1828 wurde es wiedereröffnet. 1929 wurde es wieder zugemacht, das Klostergebäude wurde zu einem Sanatorium für "Helden der Oktoberrevolution" zugestaltet. 1997 zogen dann wieder Mönche ins Kloster ein.

Zwei große unterirdische Gebäudekomplexe gibt es dort: die große Höhlenkirche, Bolschyje Diwy, und die kleine Höhlenkirche "Malyje Diwy". Insgesamt gibt es 6 Höhlen und Höhlenkomplexe auf einer Strecke von 8 km entlang der Flußufer . Die Länge der unterirdischen Anlagen liegt zwischen 27 und 351 m. 

Warum hat man nicht einfach einen Bau auf der Erdoberfläche errichtet? Als Zweck für ihre Errichtung wird die Fluchtmöglichkeit in Notlagen genannt. Typischerweise bekommt man diese Antwort, obwohl sie wohl nicht richtig ist. Denn um sich zu verstecken muß man eben Orte aufsuchen, die nicht jeder sofort sehen kann - und genau das ist bei den Höhlenkirchen meist nicht der Fall. Sie sind in prominenter Lage mit einem deutlich sichtbaren Eingang versehen und verstecken sich in keinster Weise. Schaut man in die heiligen Texte, vor allem die Bibel, so findet man ja vielfach Hinweise auf Höhlen, die auch auf künstlerischen Darstellungen zu finden sind: die Geburtsszene in Bethlehem, die Knochenhöhle unter Golgatha, die Höhle der Siebenschläfer, der Abstieg von Jesus in die Hölle.... Und es fehlt nicht der Hinweis auf das Höhlenkloster von Kiew, dessen Vorbild man wohl nacheiferte. Aber warum wurde das in die Erde gegraben?

Seit 1991 gibt es zum Schutz der Landschaft und des einzigartigen Kulturerbes ein "museum-reserve". Man kümmert sich um die ca. 30.000 Besucher pro Jahr, wobei die Zahl weiter zunimmt. Es gibt ein Museumsgebäude, einen kleinen Souvenirladen, ein Open-Air-Restaurant, eine Kasse, wo man für den Besuch des Ortes eine Eintrittsgebühr zu bezahlen hat. So gibt es ein paar Arbeitsplätze und eine Menge Saisonjobs. 

Die große Stille in dieser Landschaft wird regelmäßig unterbrochen: eine Bahnlinie zieht mittendurch und die großen Güterzüge fahren auf ihr. Wir haben einmal 68 Waggons mit 3 Lokomotiven gezählt.

Wie alt die Klosteranlagen sind, das weiß niemand genau. Die älteste schriftliche Nachricht über die Höhlenkirche von Bolshie Divy stammt aus dem Jahre 1831. Man hätte eine Ikone mit der Abbildung der Mutter Gottes aus Sizilien dort gefunden. Von ihr würden heilkräftige Wirkungen bei verschiedenen Krankheiten ausgehen. Seither gab es regelmäßig Prozessionszüge zur Kirche. Sie besteht aus 2 Teilen, einem unteren und einer oberen Teil, die miteinander durch einen Stollen verbunden sind. Um die Höhlenkirche herum führt eine Prozessionsgalerie, in der 10 kammerartige Erweiterungen mit kleinen Ikonennischen zu finden sind. Man hat diese Höhlen vollkommen restauriert, weiß gestrichen und mit LED-Beleuchtung dezent versehen. Mit der "Modernisierung" ist alle Geschichtlichkeit verschwunden, es gibt keine Graffiti mehr keine Unebenheiten mehr - alles ist glatt, sauber, steril, auswechselbar. 

Einige Kilometer weiter, aber noch auf dem Gelände des Schutzgebietes liegt der Höhlenkomplex dom Malie (Klein-) Divy. Er wird vom Holy Dormition Divnogorsk Männerkloster verwaltet. Den wichtigsten Bereich bildet die Geburtskirche von Johannes dem Täufer. Sie hat einschließlich der Nebenräume eine Gesamtfläche von 127 m². Einige Kammern könnten einmal bewohnt gewesen sein. Es gibt noch weitere Räume einschießlich einer weiteren Kapelle und einer Grabkammer mit einer Tiefe von 1,80 m. Ein Treppenhaus mit vielen Stiegen verbindet die unterschiedlichen Niveaus. Die Gesamtlänge der Anlage beträgt 351 m. Unweit der Hauptkirche sind einem Kreidefelsen noch die Reste einer weiteren kleinen Anlage zu sehen mit 2 Räumen und den Resten einer Eingangstüre. Der Felsen wurde im 17./18. Jahrhundert weitgehend zerstört.

 

Literatur:

Baedeker Allianz Reiseführer Russland Europäischer Teil, Ostfildern 2009
Gunko, Alexey, Kondratyeva, Sofia, Stepkin, Vitally Artificial caves in chalk outcrops in the Don basin, HYPOGEA - Proceedings of International Congress of Speleology in Artificial Cavities - Cappadokia, March 6/8 2017, p 461 - 467
Gunko, Alexey, Kondratyeva, Sofia, Stepkin, Vitally Cave temples in the Don region, Russia and Ukraine, HYPOGEA - Proceedings of International Congress of Speleology in Artificial Cavities - Cappadokia, March 6/8 2017, p 468 - 474
Kondrateva, S.K. Divnogorye's Caves in photographs, figures and drawings, in: Proceedings CAVES AS OBJECTS OF HISTORY AND CULTURE - INTERNATIONAL SCIENTIFIC FORUM, edited by A.A. Gunko, S.K. Kondratieva, M.I. Lylova, Voronezh 2016
Pleitgen, Fritz Väterchen Don - Der Fluss der Kosaken, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008

 

Links:

Wissenschaftlicher Kongress: CAVES AS OBJECTS OF HISTORY AND CULTURE - 19 - 22 April 2016 Divnogorye

http://www.divnogor.ru/

https://www.youtube.com/watch?v=UuIg4-s19Pc / Pleitgens Film über den Don mit Szenen aus dem Höhlenkloster

http://steine.helga-ingo.de/2014/03/13/diwnogorje/

http://de.rbth.com/multimedia/pictures/2013/02/25/hoehlenkloster_im_sueden_russlands_22129

http://www.russianmuseums.info/M670

http://journal.exarc.net/venues/divnogorye-ru


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