Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Der Erdstall unter der Kirche von Kleinzwettl, Niederösterreich, A


Im nördlichen Waldviertel liegt eine kleine Ortschaft, Kleinzwettl. Zwei geteerte Straßen führen hin, ein paar Häuser und Bauernhöfe gibt es und die Wehrkirche. Sie steht auf einem sog. "Hausberg", einer Bauform, die in der Mitte aus dem "Kernwerk" besteht, um das herum ein Graben ist und danach der "Wall" folgt. In der Nähe gibt es eine Reihe anderer, ähnlicher Anlagen: Aislab, Vestenötting, wohl auch Gastern. Es wird vermutet, daß es Verteidigungsanlagen waren, um den Kolonisatoren in dem "schwer umkämpften Grenzgebiet" eine sichere Bleibe zu geben. Das früheste erhaltene Dokumente reicht bis 1112 zurück, wo der Bischof von Passau seine Zehentrechte an das Stift St. Georgen abtrat.

Das Langhaus der Kirche wurde bereits im 12. Jahrhundert erbaut, was durch das Vorhandensein von zwei romanischen Doppeltrichterfenstern an der Kirchensüdwand belegt wird. In der Gotik wurde die Kirche erweitert und Spitzbogenfenster, Strebepfeiler und Kreuzrippengewölbe hinzugefügt. Im Barock wurde ein Seitenaltar hinzugefügt. Verschiedene Kunstwerke schmücken noch heute den Kirchenraum: eine "Schöne Madonna" aus der Zeit um 1430, zwei Darstellungen von Maria und Johannes, auf Holz gemalt, in die Zeit um 1400 datiert, und weitere Objekte. Um die Kirche vor Einbrüchen zu schützen, ist sie verschlossen und man muß sich den Schlüssel im nahen Bauernhaus besorgen.

In bzw. unter der Kirche steckt noch eine große Besonderheit: ein Erdstall. Sehen tut man normalerweise davon überhaupt nichts und wer nichts davon weiß, würde auch nie daraufkommen, daß es hier eine unterirdische Baustruktur gibt, die wirklich außergewöhnlich ist. Schon seine Lage ist ziemlich einmalig. Mitten im Kirchenraum muß man eine der steinernen Bodenplatten aufheben und darunter kommt ein Loch zum Vorschein. Um das Lupfen des Steines überhaupt erst zu ermöglichen, ist eine kleine unauffällige eiserne Vorrichtung angebracht. Durch sie kann man eine Stange stecken, mit deren Hilfe man dann  den schweren Stein hochheben kann. Diese Öffnung ist nun nicht irgendwo in einer Ecke, sondern ganz zentral im Kirchenraum. Wenn man etwas verstecken und verbergen will, dann rückt man den Eingang nicht ins Blickfeld, sondern an den Rand. Das ist hier absolut nicht der Fall. Es könnte sein, daß es noch einen Zugang einmal gegeben hat, nördlich der gotischen Säulen, der als einziger ausgemauert worden war.

Schaut man sich die Lage des Eingangs genauer an, dann fällt noch etwas auf, was freilich durch die vielen Um- und Ausbauten des Gebäudes heute nicht mehr sichtbar ist. Die Kirche hat eine west-, östliche Grundausrichtung. Durch das schmale, hohe Fenster in der Ostmauer konnte früher das Licht der Morgensonne in den Kirchenraum scheinen. Das ist heute nicht mehr möglich, da eine Wand eingezogen worden ist und ein Barockaltar davor steht. Stellt man sich die Situation in der ursprünglichen Situation vor, dann zeichnete sich bei Sonnenschein auf dem Kirchenboden ein Sonnenfleck ab, der entsprechend der Wetterverhältnisse und der Jahreszeit wanderte. Eine solche Erscheinung ist sehr gut im Dom von Chartres zu sehen und war bewußt von den Architekten angelegt worden. Zu bestimmten Zeiten im Jahr muß dann der Lichtstrahl direkt auf den Eingang des Erdstalls getroffen sein und hat ihn erleuchtet. Nimmt man den Stein weg, dann leuchtete die Sonne wohl auch direkt in die "Unterwelt" für ganz kurze Momente im Jahr. Man müßte die Verhältnisse einmal genauer untersuchen. Ähnliche Beobachtungen hat man auch in Höhlen schon gemacht und Erstaunliches gefunden > file:///C:/Dokumente und Einstellungen/Franz/Eigene Dateien/Eigene Webs/hoehle/hrp/sinne/zeit/zeit.htm.

Ist man durch die enge Eingangsöffnung geschlupft, dann geht es überwiegend genauso räumlich beschränkt weiter. Öfters liegt man flach auf dem Bauch und kriecht dahin, auch seitlich gekippt, weil nicht viel Platz ist, mindestens aber gebückt. So alle 2, 3 Meter knickt der Gang wieder ab und führt leicht in eine andere Richtung. Höhepunkt ist dann eine Verzweigung, an der man sich entscheiden muß, ob man links- oder rechtsherum einem Kriechgang folgen will, der dann wieder zum Ausgangspunkt zurückführt. Verlaufen kann sich hier keiner. Als besonderes bauliches Merkmal sind die vielen Wandnischen zu vermerken, die meist als "Lampennischen" klassifiziert wurden, aber ob das wirklich der Grund für ihre Schaffung war? Keiner kann die Erbauer mehr befragen, da es von ihnen keinerlei Aufzeichnungen gibt. Auch eine außergewöhnliche Form in der Gangwand ist zu erwähnen, die als Rest einer Absperrvorrichtung interpretiert wurde, die man nur von außen betätigen konnte. Kurz dahinter ist ein Luftloch.

Heute (2013) ist das Betreten des Erdstalls von der zuständigen Stelle verboten worden - aus "Einsturzgefahr". Leider. Jahrhunderte hat das "Ding" schon gehalten, dann sollte es ausgerechnet jetzt, zusammenstürzen? Das Risiko, auf dem Weg dorthin zu verunglücken, ist viel größer. Aus einer solchen Sicht sollte man dann auch den gesamten Straßenverkehr verbieten, denn es kommt ja laufend zu leichten und schweren Unfällen, krachen zum Beispiel Autos frontal aufeinander. Denkt man in solchen Vorsichtskategorien, dann  dürften überall nur noch Einbahnstraßen erlaubt sein, um dieses Risiko zu vermeiden!

Wann wurde der Erdstall "wiederentdeckt"? Aus den alten Dokumenten läßt sich nur wenig herausholen. Karner erwähnt Kleinzwettl 1903 in seinem Standardwerk über die "Künstlichen Höhlen aus alter Zeit" mit keinem Wort. Kießling, der zweite "Großmeister" der Erdstallforschung in Niederösterreich erwähnt ihn mit einem Satz: "Auch zu Kleinzwettl steht die Kapelle über einem Erdstall, der auch einen Rundgang haben soll." 1926 wird die erste Skizze veröffentlicht von Heinrich Rauscher, den vom Pfarrer Rupert Hauer gezeichneten Plan. "Wissen" bleibt nicht, vergeht auch wieder. So steht in einem Text aus dem Jahre 1958: "Einige Schritte vor dem Hochaltar ist eine der langen Steinplatten des Fußbodens mit einem eisernen Ring versehen. Durch Jahrzehnte glat dieser Stein als Gruftdeckel, wenngleich nie die Legende erlosch, daß diese Platte einen Fluchtweg eröffne, der angeblich nach dem zwei Kilometer entfernten Dorf Wismaten führe." Massiv wurde geforscht und vermessen anläßlich einer Veranstaltung des Instituts für Allgemeine Geodäsie der Technischen Universität Wien im Jahre 1979, wo man die gesamte Wehrkirche erfaßte und auch den Erdstall. 2010 erfolgte dann eine vollständige Neuvermessung und Erfassung vieler Details durch Fritsch und Weichenberger. Ein Grund dafür war, daß man weder die alten Meßpunkte finden konnte, noch waren die alten Meßdaten noch greifbar. Hoffentlich ist da jetzt besser gehandhabt.

Was hat es mit der besonderen Lage des Eingangs in den Erdstall in Bezug seine Lage im Kirchenraum auf sich. In keiner der mir bekannten Veröffentlichungen habe ich bislang irgendeine Reflexion darüber gefunden. Ich glaube nicht an einen Zufall in diesem Fall. Da haben sich die Erbauer etwas gedacht dabei. Ob wir darauf kommen? Noch so ein Rätsel in Zwettl.

 
   
   
 

 

Literatur:

Bednarik, Edith Die Rätsel von Kleinzwettl, in: DER ERDSTALL 37-2011, S. 88 - 94
Fritsch, Erhard, Weichenberger, Josef Der Erdstall unter der Kirche von Kleinzwettl, in: Drei Farben - Magi.Zauber.Geheimnis - Bedeutung der Farbe über Jahrtausende, Lauermann, Ernst, Sam, Sandra, herausgegeben vom Urgeschichtsmuseum Asparn/Zeya, Neue Folge 497
Linner, Manfred, Roetzel, Reinhard Der Erdstall von Kleinzwettl - geologisch betrachtet,  in: Drei Farben - Magi.Zauber.Geheimnis - Bedeutung der Farbe über Jahrtausende, Lauermann, Ernst, Sam, Sandra, herausgegeben vom Urgeschichtsmuseum Asparn/Zeya, Neue Folge 497
Plach, Dipl. Ing. Hans Der Erdstall unter der Kirche, in: Kultur- und Museumsverein Thaya, Die Wehrkirche Kleinzwettl, Kleinzwettl 1981
Weichenberger, Josef Der Erdstall von Kleinzwettl (Niederösterreich), in: Der Erdstall, Heft 12, Roding 1986, S. 37-44

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