Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Ghar il-Kbir
- eine uralte Höhlenwohnung auf Malta


Wo gibt es auf diesem Planeten einen Ort, wo vielleicht 4000 Jahre hindurch Menschen an einem Ort gewohnt haben? Ich glaube, da existieren nicht viele, und wenn es einen gibt, dann muß er etwas ganz Besonders an sich haben, denn sonst hätte sich über Jahrtausende dort aufgehalten.

Ein solcher Ort liegt auf Malta, heute verwaist. Man muß von Valletta, der Hauptstadt, nach Süden Richtung Dingli Cliffs fahren. In der Nähe der Buskett Gardens, dem einzigen Wäldchen der Insel liegt die Clapham Junction. Jeder Reiseführer erwähnt heute diese Stelle, weil sich dort die imposantesten cart ruts befinden. Lange parallele Rillen sind eingefräst in die Karrenplatten. Die glaubhafteste Hypothese für deren Entstehung ist die, daß es die Spuren alter Transportschlitten sind, die man über die Erde geschleift hat, um wahrscheinlich Steine zu transportieren.

Nicht weit davon, aber für den Nichteingeweihten nicht zu sehen und damit kaum zu finden, liegt die Höhle "Ghar il_Kbir", die "Große Höhle". Natürlich wartete auch hier, wie an so vielen anderen Orten der Insel, wartete am Parkplatz von Clapham Junction schon ein Einheimischer, der sich sofort als Führer "anbot", uns sofort alles unaufgefordert erklärte, sich als pensionierter Lehrer zu erkennen gab, der den Leuten halt seine schöne Heimat erklären wollte und am Ende dann doch vor allem seine Hand aufhielt, damit wir ihm ein gehöriges Trinkgeld geben sollten. Bei den Erklärungen fiel plötzlich der Ausdruck "cave", ich fasste sofort nach, da ich gar nicht gewußt hatte, daß in dieser Gegend irgendetwas speläologisch Interessantes gab, und wir wurden von dem Mann über die Hochfläche zum vielleicht 100 m entfernten Schachteingang geführt zu werden. Wie eine große Schachtdoline sieht alles aus, unten wachsen schon kleine Feigenbäume, Buschwerk ist da, Felsbrocken liegen am Schachtgrund.
Unser Führer erzählte und erzählte. Um 2000 vor Chr. sollen zum ersten Male dort Menschen gelebt haben und dann über Jahrtausende hinweg bis zum Jahre 1823. Im Reiseführer steht, die Höhle sei "heute zusammengebrochen", unser Führer wußte davon zu berichten, daß dieser "Zusammenbruch" in Wirklichkeit das Werk der Engländer sei - die Höhle sei nämlich absichtlich zerstört, sprich gesprengt, worden, um zu verhindern, daß die dort lebenden Menschen wieder dorthin zurückkehren konnten.

Es muß eine besondere Sorte Mensch gewesen sein, die sich dort in der Erde festgekrallt hatten, sicherlich nur ein recht bescheidenes Leben führten, aber immerhin lebten, und sich, da sie offenbar so unabhängig von ihrer Umgebung waren, weitgehend nach ihren eigenen Regeln lebten und leben wollten. Das soll den Engländern mißfallen haben, die Höhlenbewohner wurden zwangsumgesiedelt in "modernere Bauten", die aber diesem Menschen nicht zusagten. Sie wollten zurück in ihre Höhle, wohl die Einfachheit der Modernität/Bequemlichkeit/Sicherheit und die Freiheit der Begrenztheit der westlichen Zivilisation vorziehend. Immer mehr "Höhlenmenschen" zogen zurück in ihre Höhle, verließen wieder die Häuser und siedelten erneut in der Unterwelt. Den Engländern mißfiel dies und schufen deshalb "vollendete Tatsachen". Die Höhlendecke wurde gesprengt. Ein jahrtausendealter Wohnort war vernichtet.

Wer heute hingeht, wie wir an Pfingsten 1999, kann über einen Trampelpfad leicht zum Grund absteigen. An den Seiten fanden wir eine Reihe von Trockenmauern, die die noch erhaltenen Räume unterteilen. Sie werden noch heute von den Hirten genutzt, um darin ihre Tiere, vermutlich Ziegen, zu halten. Außer diesen Mauern konnte ich nichts anderes entdecken, was auf die lange Besiedlungsgeschichte hingedeutet hätte, außer einer Art Tunneleingang an der Oberfläche, der gleich durch seine Regelmäßigkeit auffiel. Er ist künstlich, warum? War dies vielleicht früher der entscheidende, vielleicht einzige Zugang in die unterirdische Anlage. Konnte man sie vielleicht leicht verschließen, tarnen?

Sich an einem solchen Ort aufzuhalten, das ist schon etwas Besonderes. Wieviele Menschen haben hier nicht gelebt, was ist wohl hier nicht alles geschehen, war motiviert von Liebe und Hass oder Gleichgültigkeit. Egal. Heute ist nichts mehr davon hier vorhanden. As time goes by....

Clapham Junction

die cart ruts

mit unserem Führer

Der Eingang
War das der frühere Eingang?
Der heutige Zugang

auffallend: die künstlichen Stein-
nischen an der Decke

Trockenmauer in der "Großen Höhle"
Eine andere genutzte Höhle in der Nähe

Der Höhleneingang
mit Steinbrüchen im Hintergrund

Noch ein Blick in eine der dauerhaftesten
Wohnstätten der Erde
- links eine Trockenmauer

Literatur:

Links:

Wohnen im Fels - Höhlenwohnungen


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