Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Wildenmannlisloch am Selun


In der Bilderbuchlandschaft der Churfirsten in der Schweiz gibt eine langbekannte Höhle, das Wildemannliloch. Es liegt in 1600 m Seehöhe am Weg zum Selun, einem der meistbesuchtesten, weil leicht über eine breite Grasflanke erreichbaren Gipfel dieses Gebietes.

Der Eingang in die Höhle ist schon von weitem leicht erkennbar. Der Aufstieg zum Eingang ist auch leicht zu machen. Ein horizontaler Gang nimmt einen auf und führt fast 200 m in den Berg.

Die Ausgrabungen von Bächler erbrachten Funde, die den Aufenthalt bereits des Steinzeitjägers dort belegen. Die Funde sind heute im Museum St. Gallen. Auch Sagen ranken sich um diese Felsöffnung. J. Kuoni schreibt in seinen "St. Galler Sagen": "Da wohnten ehedem die wilden Männchen; diese helfen den Alpknechten und Talbewohnern oft arbeiten, waren dienstfertig und kamen hier und da ins Tal..." Aus dem Jahre 1703 stammt die älteste schriftliche Erwähnung der Höhle von dem Pfarrer Johann Heinrich Scherrer aus Alt St. Johann. Er schrieb damals, daß es im Selum ein Loch gibt "durch welches man ein halb Viertelstund mit einer Latern in den Berg hineingehet". Vom Wildemannlisloch war damals noch nicht die Rede.

Der Name geht wohl auf eine Begebenheit zurück, die sich im Jahre 1844 zugetragen hat. Den Sennen auf der Selunalp fiel auf, daß am Abend eine gute Milchkuh allabendlich mit leerem Euter in den Stall kam. Sie schöpften Verdacht, daß ein Milchdieb unterwegs sei und stellten Wachen auf. Sie entdeckten "ein fast nacktes menschliches Geschöpf mit langen Haaren, beständig brummend". Es saugte aus den Zitzen einer Kuh direkt die Milch ab. Dann zog es sich wieder in die Höhle zurück. Nachdem der Sachverhalt geklärt war, wurde der "Wilde" zum Einfangen freigegeben. Das war gar nicht einfach, denn es handelte sich um einen sehr kräftigen jungen Mann, der nicht reden und nichts verstehen konnte, und sich heftig seiner "Einfangung" erwehrte. Er kam in die Armenanstalt von Alt St. Johann. Wie es heißt, blieb er immer stupid und menschenscheu, das Sprechen und irgendwelche Arbeiten konnten ihm nie beigebracht werden. Ende des Jahrhunderts ließ man ihn auf den Namen "Johannes Seluner" taufen, wobei man sich das Ruhighalten des Mannes durch die Gabe von Zuckerstückchen erkaufte. 54 Jahre lebte der "Seluner" in der Anstalt, wurde richtig ein Prominenter und an seiner Beerdigung nahmen viele Menschen teil.

Blick auf die Churfirsten
Im Eingangsbereich
- im Hintergrund der Selungipfel
-H Im Loch

Literatur:

  Wildenmannlisloch (Nr. 02/6), Höhlenpost August 96 / Nr. 101, S. 20f.
Bächler, Emil Das alpine Paläolithikum der Schweiz im Wildkirchli, Drachenloch und Wildenmannlisloch. Die ältesten menschlichen Niederlassungen aus der Altsteinzeit des Schweizerlandes. 2 Bände. Band 1: Tafelband mit 135 s/w Abb. auf 115 Tafeln, Band II: Textband mit 263 S. Birkhäuser Verlag, Basel,
1940. 4°. Hln. in Schuber.
Baechler, E. Das Wildenmannlisloch am Selun(Churfirsten), hrgs. v. der Sektion Toggenburg des S.A.C. St. Gallen 1934
Brändle, Rea Johannes Seluner. Findling, Erweiterte Neuauflage Chronos, Zürich 2010
Ribaux, Louis Toggenburg-Churfirsten, Kümmerly+Frey, Bern 1985
Vetterli, Albin Das Wildenmannlisloch, Höhlenpost 90-1992, S.3ff.
Zopfi, Emil, Schneider, Roman Der Findling vom Selun, TRANSHELVETICA Nr. 43-2017, S. 52

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