Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

39eme congrès de la Société Francaise d'Etude des Souterrains
Patrimoine souterrain et conflits

18-21 November 2016 in Dainville, Pas-de-Calais, F


"Für uns, denen der Pfosten der Tür verbrannt ist..." (Aus: Herbstzeitlosen von Hilde Domin)


Souterains im Departement Pas-de-Calais 


"Les portes etaient en bois."

Dieser einfache Satz wurde gesprochen, als wir uns in der "Base secrète allemande WW2 sous les fortifications de Montreuil/Mer" aufgehalten haben. Er zeigt sofort, was es bedeutet, wenn man sich aufmacht, an dieser Traditionsveranstaltung der französischen Souterainforscher teilzunehmen. Je mehr man der Sprache "mächtig" ist, desto mehr bekommt man mit und umgekehrt.

Zum 39. Male hatten sie sich wieder zusammengefunden und das in Scharen. Fast 120 Personen waren zusammengekommen, was die Organisatoren vor einige Aufgaben stellte. Der Vortragssaal neben dem Rathaus von Dainville, einer Nachbargemeinde von Arras im Departement Pas-de-Calais, war ziemlich gefüllt, wenn dort die Vorträge stattfanden. Für die Mittag- und Abendessen, ein wesentliches Element der Veranstaltung, insbesondere für die menschliche Begegnung, hatte man mittags im Kettenrestaurant "Flunch" ein ganzes Areal gebucht, abends ging es dann immer in das stimmungsvolle Restaurant "Le comptoir des Halles" in der Altstadt von Arras. Am Montag gab es dann noch mittags bei einem Ausflug in den Norden des Departements ein prima Mittagessen in der "ferme au blé" in Clenleu, wo man spüren und schmecken konnte, was die französische Küche wirklich bietet. Für die Unterkunft mußte jeder Teilnehmer selber sorgen, für die Exkursionen wurden zwei Gruppen gebildet, die Blauen und die Grünen, die sich dann bei den jeweiligen Stationen abwechselten, um eine Überfüllung der einzelnen Souterrains ein wenig einzugrenzen. 

Die Tagung dauerte 4 Tage, wobei der 1. Tag sich weniger an die SFES-Teilnehmer richtete, sondern mehr an Außenstehende, aber eben auch manchmal mit dem Souterrainthema in Berührung Kommende wie Feuerwehrleute, und vom Themenbereich her allgemeiner gehalten war. Es ging u.a. um eine Typologie der Souterrains im Gebiet der "Hauts de France", die Erkundung der "souterrains aménagés" in Frankreich, die Souterrains in Amiens, ein geologische Einführung in die Kalksteinentstehung und insbesondere in die Kreide, die ja das dominierende Gestein in der Region bildet. Am späten Nachmittag ging es dann auf Exkursion im großen Bus. Er brachte uns nach Neuville St Vaast, das man im Internet vor allem wegen seines großen Soldatenfriedhofs erwähnt findet. Ziemlich unscheinbar ist der Eingang in den unterirdischen Steinbruch von Targette. Wir stiegen im erst im 1. Weltkrieg geschaffenen Stollen in die Tiefe und erreichten die großen Kammern und Räume, die erst geschaffen wurden, um das Gestein herauszuholen und die später im Krieg als Unterstand und Lazarett dienten. Die vielen Graffiti an den Wänden sind immer sehr berührend, weiß man doch, daß die Namenskritzler alle längst schon verschieden sind und hier ihre wohl letzten Zeugnisse ihres Lebens noch zu sehen sind. Um 19 Uhr hieß es dann in der Altstadt von Arras zu sein, wo wir unser "repas" in einem alten Kellergewölbe serviert bekamen. Da war dann für mich Gelegenheit, mit zu der Gruppe der englischen Souterrainforscher zu setzen, mit denen die Kommunikation wegen der Sprache am einfachsten war und außerdem die Leute einfach alle sehr aufgeschlossen und freundlich waren.

Samstag früh begannen um 9 Uhr die Vorträge, nachdem eine kleine Eröffnungszeremonie stattgefunden hatte. Alles war gut organisiert und verlief reibungslos. Eine kleine Broschüre informierte über den Zeitplan, die Exkursionsorte, enthielt sogar kurze Zusammenfassungen der Vorträge, alles allerdings nur in französischer Sprache. Wer sie nicht verstand, tat sich schwer.
Eric Clavier hielt den ersten Vortrag und der hatte die größte Nähe zu "unserem" Spezialthema, den Erdställen. Die sind ja weitestgehend unbekannt in Frankreich, gibt es doch eigentlich nur in der Mitte Frankreichs ähnliche unterirdische Anlagen, die aber auch unterschiedlich sind zu unseren. Eric stellte seine Untersuchungen vor, ob sich zwischen den Kriegen in der Zeit des Mittelalters in dieser Region und dem vermutlichen Entstehungszeiten der Souterrains nachweisbare Beziehungen feststellen lassen. Im Hintergrund steht die Überlegung, ob sie sich nicht doch als Fluchtanlagen erklären lassen, aber das Ergebnis ist nicht befriedigend. Wer mehr darüber erfahren will, der sollte sich den im Internet verfügbaren Artikel von Eric einmal anschauen. Weitere Themen waren die Entwicklung von Lanches und Saint-Hilaire in der Nähe von Domart en Ponthieu in den Jahren 1634 bis 1655, wo nur ganz am Rande das Souterrainthema eine Rolle spielte, ein Überblicksvortrag von Jerome und Laurent Triolet, das den Krieg im Untergrund, weltweit betrachtet, als Thema hatte und der weit ausholte. Von Vietnam bis nach Kappadokien, vom Afghanistankrieg bis zu den Kriegen des Mittelalters - immer war der Blick auf das Geschehen in der Erde gerichtet, ein wenig stark nur auf die fürchterliche Seite der Menschheit und ihren Umgang mit der Erde gerichtet. Die "Muches von Velu" bildeten das Abschlußthema vor dem Mittagessen. Nachher ging es auf Exkursion, in die Muches von Graincourt les Havrincourt und den Carrière refuge Quéant. Abends gab es wieder das gemütliche Zusammensein im "comptoir des Halles" für das Repas.

Sonntagmorgen gab es wieder von 9 bis 12 Uhr Vorträge, z.B. "Vom 30jährigen Krieg bis zum "Großen Krieg" am Beispiel der Souterrains von Naours, der 2. Weltkrieg und seine Auswirkungen auf die unterirdischen Räume von Caen und den Tunnel von Drancy (ein Fluchttunnel wurde dort gegraben und kurz vor Fertigstellung entdeckt in der zentralen Anlage für die Deportation der französischen Juden ins KZ). Dann fand noch die Jahreshauptversammlung der SFES statt, wo das wichtigste Ergebnis war, daß die nächste Tagung in Laon stattfinden wird, ein sehr geeigneter Ort eine solche Tagung: mehr in der Mitte Frannkreichs gelegen, der unterschiedlichste Souterrains aus vielen Jahrhunderten zu bieten hat. Nach dem Flunch-Mittagessen ging es zum unterirdischen Steinbruch von Habarcq und zu den Muches Lattre St Quentin. Abends wieder "compoir des Halles". 

Am Montag reisten viele schon wieder ab, aber der "Rest" war doch noch sehr zahlreich. Der fuhr mit eigenen Autos in Richtung Norden dem "Kanal" zu, zuerst nach Montreuil/Mer und dann nach Etaples. In Montreuil liegen Bunkeranlagen der SS unter den Befestigungsanlagen der Stadt. Bevor sie noch ihre geplante Aufgabe hätten erfüllen können, war der Krieg an dieser Stelle schon wieder vorüber und die Allierten hatten die Region den deutschen Invasoren wieder abgenommen. In Etaples wurden die Kreidesteinbrüche sowohl während des 1. wie des 2. Weltkriegs als Schutzräume genutzt. Viele alte eiserne Bettgestelle zeugen noch heute davon.

Erdställe gab es bei dieser Tagung nicht zu sehen, aber eben richtige Flucht- und Schutzanlagen von Menschen, die in dieser meist vollkommen flachen bzw. höchst leicht gewellten Landschaft in den vielen Kriegszeiten einen Modus suchten, um zu überleben. Die Muches, übersetzt "Verstecke", abgeleitet vom Verb "mucher" - "verstecken", sind professionell dafür entwickelt worden. Ihr Eingang ist versteckt, typischerweise in einer Kirche gelegen, daran schließt sich ein oder mehrere Gänge an, "rues" genannt, mit Dimensionen um die 1,80 m Höhe und 1,20 m Breite - bücken oder gar kriechen mußte da keiner - an denen seitlich Kammern anschließen. Sie waren von den Gängen meist durch verschließbare Holztüren getrennt. Typischerweise beträgt die Grundfläche ca. 15 m², die in zwei Räume aufgeteilt ist. Vermutlich diente ein Teil dem Aufenthalt der Menschen, der andere an Tieren. Es gibt Luftröhren und oft auch Brunnen, um Wasser zu haben. Auf jede Familie im Dorf kam wohl eine Kammer. Die Muches haben unterschiedlich viele Kammern, was wohl durch die Größe der Siedlung bedingt war. In Hermies gibt es z.B. 114 davon. Die Entstehungszeit dieser Anlagen liegt nach heutiger Auffassung bis ins 16. und 17. Jahrhundert zurück, wo im Französisch-Spanischen Krieg das Land immer wieder verwüstet wurde.

Insgesamt kennt man inzwischen rund 300 unterirdische Anlagen im Raum Picardie - Pas-de-Calais - Nord, davon 74 Muches. In jüngerer Zeit widmet sich vor allem die GEVSNF, die "Groupe d'études des villages souterrains du Nord de la France" erfolgreich um die Erforschung und die Erhaltung der Objekte. Sie war es ja auch, die die Hauptorganisation der Tagung übernommen hatte. Ihnen können wir nur herzlich danken. Sie haben das sehr gut hinbekommen.

  Der Veranstaltungsort:

der Saal neben dem Rathaus von Dainville 

 e
     
> Am Eingang zu den Carrieres de la Targette in Neuville St Vaast
Im "comptoir des Halles" in Arras 
- der Schauplatz des abendlichen "repas"
< Der entscheidende mögliche Link zwischen den Erdställen und bestimmten Typen von Soutains - gezeigt bei einem Vortrag von Eric Clavier
Im Vortragssaal
> Plan von "Muches"
Eingänge zu Souterains

< Quéant

> Habarcq

Beim Mittagessen in einem Landgasthof bei Montreil
Auf dem Weg zum unterirdischen Steinbruch in den Straßen von Etaples

Literatur:

   

Links:

http://archeomellois.over-blog.com/article-les-souterrains-annulaires-le-point-de-vue-d-eric-clavier-55679266.html

http://www.muches.fr/

https://www.youtube.com/watch?v=qMniIXjMoGA

http://infoterre.brgm.fr/rapports/RP-60332-FR.pdf (Inventaire des cavités souterraines (hors mines) du département du Pas de Calais)


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