Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

Von der Tauplitz zur Pühringer Hütte / Totes Gebirge
- der "Ungangbare Weg"


Auf dem Weg zur Linzer Tauplitzhütte am Abend des 25. August 2005 - würden wir es packen?


"Es geht beim Wandern nicht bloß um eine Fortbewegung, nicht bloß um körperliche Ertüchtigung, sondern es werden beim Gehen die tiefsten Schichten des menschlichen Bewußtseins angesprochen. Der Mensch erfährt sich selbst als einen, der wesentlich auf dem Weg ist. Er hat hier keine letzte Bleibe..." Anselm Grün, Mit Herz und allen Sinnen

"Wer in die Wildnis geht, sucht nach dem Ungewissen, der will sich eine Zeit lang lossagen von einer Welt, in der man zu genau weiß, was sich am Ende der Straße oder hinter der nächsten Ecke befindet; der sucht nach der Spannung des Unbekannten, nach Abwechslungen und Geheimnissen. Bob Marshall, Mitbegründer der Wilderness Society (1935)

Die Wildnis in unseren Herzen ist Sehnsucht, Sehnsucht nach den Lüsten, die nichts kosten. Sehnsucht nach dem Einfachen, dem Überschaubaren, dem Menschengemäßen. Nach Zauber und Geheimnissen, nach Ahnung statt Wissen, nach Hoffnung statt Versprechen. Deshalb muß Wildnis kein Urwald, kein Wildfluß, kein Wolfgeheul sein. Wildnis ist überall, wo wir sie dulden: im chemiefreien Hausgarten, in Wäldern, in denen der Luchs geduldet wird, oder in einer Gesellschaft, die Wildnis denken läßt. Hubert Weinzierl, Mitbegründer des Nationalparks Bayerischer Wald


Überall, wo wir Menschen heute die Vorsilbe "un-" lesen, das erzeugt das einfach schon "Widerstand". Unmöglich - gibt es nicht, unzeigbar - unsere Journale sind voll davon, unbeliebt - wir zeigen euch schon noch, was ihr zu lieben habt, unsäglich - wir sprechen es aus, ungesehen - wir haben schon unsere Fotographen hingeschickt und veröffentlichen das in der nächsten Nummer, "ungangbar" - das wäre doch gelacht!

Auf einer verwitterten Blechtafel im östlichen Teil des Toten Gebirges hängt eine Tafel, die weist die "Skiroute" zwischen der Tauplitz und der Pühringer Hütte im Sommer genau als solche aus: als "ungangbar". Gibt es so etwas heute noch? Im Winter geht's, im Sommer nicht. Es stimmt. Wir haben es probiert. Und hoffentlich bleibt es auch so.

Auf der Pühringer Hütte haben wir was gehört, was hoffentlich nie Wirklichkeit wird. Es gäbe "große Mengen an EU-Geld", die eigentlich zur Verfügung stehen würden, damit sie ausgegeben würden, damit wohl auch die letzten noch unerschlossenen Berggebiete endlich "besser" zugänglich würden. Das österreichische Bundesheer könnte doch den Weg bauen und dann wäre endlich die "Lücke" geschlossen, die noch im Wegenetz des Toten Gebirges Richtung Osten bestehen würde.

Vom 18. bis zum 20. August 2005 waren wir, Alfred Schlagbauer, Harald Kipke und ich, dort einmal unterwegs. Unser Unternehmen hat fast 15 Stunden gedauert. Wir haben die Strecke gemeistert, aber nicht auf der Route, wie wir eigentlich gedacht hatten, es zu tun. Es war einfach nicht zu machen. Warum auch? Wer am Ende in einer Latschenwildnis wie Tarzan an seiner Liane hängt und keine Ahnung mehr hat, wo es irgendwo mehr weitergehen könnte, umgeben von Steilabbrüchen und orientierungsfeindlicher Einförmigkeit, der wird sich wohl auch am Ende über ein paar Steinmännchen freuen, die einem einen mühevollen, aber dennoch nicht ganz aussichtslosen Ausweg aus einem nur noch abweisenden labyrinthischen Felsbotanikgestrüpp verheißt. Was danach noch folgte, das war überhaupt nicht von "schlechten Eltern". Nichts wurde uns da geschenkt, aber auch gar nichts. Rauf, runter, rauf, runter, als GPS-Angaben sind von einer geradezu ans Lügen grenzenden Schlichtheit. 3 km, 5 km, 7 km vom letzten Meßpunkt, wo wir vom offiziellen Weg abgebogen sind. Jeden Moment könnte man hier ausrutschen, könnte ein Stein ins Wackeln kommen, könnte ein Fußtritt durch die grüne Blätterwelt, die verhindet, daß man sieht, wo man eigentlich hinsteigt, auch ins Leere führen. Trotzdem gingen wir weiter, weiter, weiter.

Entscheidend wurden für uns die Steinmännchen. Das ist immer eine Glaubensfrage. Darauf vertrauen oder nicht? Führt es in die "Irre" oder auf den "rechten Weg"? Vielleicht hat da jemand was markiert, was er nicht überlebt hat? Gibt es "gute" und "schlechte" Steinmännchen? "Hinterher ist man immer klüger" - ein Spruch, den mir mein Leben gelehrt hat, und dieser Weg auch. Immer wieder ist es uns passiert, daß die "Markierung" uns verloren gegangen war und wir intensiv danach suchen mußten. Mal fanden wir die nächste, mal nicht. An einer ganz entscheidenden Stelle haben wir keine mehr gefunden, und wir haben gemeinsam die Entscheidung gefällt, nun einem neuen Markierungsmerkmal zu folgen - was sich für uns als Erfolgsidee letztlich herausgestellt hat, damit wir das Gesamtziel erreicht haben. Zum Zeitpunkt der Entscheidung hatten wir das nicht gewußt. Eine andere "Erfolgsmarkierung", der manchmal nur sehr schwierig zu folgen war, weil sie irgendwie wie die Spur eines Hasen wirkte, aber halt vollkommen auf die geographischen Gegebenheiten des Geländes einging, war plötzlich vollkommen weg. Da standen wir dann. Mitten im Gras, eine im Abendlicht leuchtende Felswand vor uns, Kuhglockengeleut im Ohr, aber keine Spur mehr, wo es weitergehen könnte. Wir haben auch das gepackt und im letzten Abendlicht standen wir vor der Pühringer Hütte. Geschafft, müde Körper, wehe Knie, schmerzende Rücken, nach was zum Trinken, zum Essen, zum Schlafen lechzend.

Am nächsten Tag sind wir nur noch ins Tal abgestiegen, fuhren mit dem Bus zum Bahnhof, warteten fast 2 Stunden auf den nächsten Zug, der uns dann nach Bad Mitterndorf brachte, so dachten wir jedenfalls, aber stiegen tatsächlich eine Station schon vorher aus, "rannten" die Straßen entlang, kamen an der hölzernen Anzeigetafel des "Landesvereins für Höhlenkunde in Obersteier" vorbei, wo gerade über das Dreiländer-Höhlenforschertreffen im Slowenischen Karst berichtet wurde, und endeten am Mauthäuserl der Tauplitzstraße. In einer Stunde sollte erst der nächste Bus hinauf unterwegs sein.

Wir warteten, gerne, und auch ein bisserl gebeugt. Da kam dann auf einmal so ein, in der modernen Sprache, SUV (sport utiliy vehicle), und nahm mich mit. Da war wieder so einer dieser seltsamen Momente, die für mich bis heute niemand wirklich erklären kann. Am Steuer saß ein Mann, den zu treffen nun wirklich nicht vorauszusehen war. Es war der Hüttenwirt vom Hollhaus, ..Hütter, vor 10 Jahren selber noch Höhlenforscher, Sohn eines Höhlenforschers der alten Garde, die früher auch schon große Entdeckungen gemacht haben. In München hat er auch schon einige Jahre gelebt. Er weiß, was hier los ist, und deshalb hat er halt auch ein Auge dafür, was für Menschen, da gelegentlich an der Mautstelle warten. Nachdem ich erzählt hatte, was wir hinter uns hatten, war, glaube ich, großes Verständnis zwischen uns. Denn wir waren nicht die ersten und sind sicherlich nicht die letzten, die sich auf diese abenteuerliche Reise begeben haben.

Es hat schon mehrere Fälle gegeben, die gerade noch "gut" gegangen sind. Wer weiß schon von den anderen? Ein Einzelgänger hat es mal versucht und ihm passierte es dann wirklich. Er fiel in einen Schacht in den Latschen. Der Schacht war wie ein Topf, und einen Weg hinaus gab es nicht mehr. Alle Rettungsflüge über das Gebiet waren erwartungsgemäß völlig sinnlos. Latschen, Latschen, Latschen. Der Mann schaffte es tatsächlich. Mit einer Steinsäule, die er durch das Zusammenschnüren von Steinen mittels seiner Kleidung errichten können haben soll, kam er dann noch irgendwie wohl aus der "Untiefe" heraus und wurde irgendwie wieder gesichtet oder erreichte so wie "unsere Welt" wieder. Was hat dieser Mensch aus dieser Erfahrung "gelernt"? Es wäre sehr spannend, darüber mal was zu erfahren. Denn gerade aus diesen "Niederlagen" läßt sich was wirklich "lernen", was übrigens einer der Altmeister der Psychologie, C.G. Jung, ganz dezidiert schon vor fast 100 Jahren formuliert hat. Eines ist klar. Man sollte diese Tour am besten nicht alleine machen, sondern in einer Gruppe, wobei auch das seine Probleme mit sich bringen kann. Bei hat die Chemie gestimmt und deshalb hatten wir wohl auch Erfolg.

Auf dem Tauplitzplateau

Linzer Tauplitzhaus

 

 

 

Literatur:

Pfarr, Theo, Stummer, Günter Die längsten und tiefsten Höhlen Österreichs, Wien 1988

Links:

 


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