Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle
60. Tagung des Verbandes der deutschen Höhlen- und
Karstforscher in Truckental, Thüringen
15.- 18. Juni 2022
Von Jens Leonhard bekamen die Teilnehmer nach der Tagung ein Mail mit folgenden Worten: "Hallo zusammen, zunächst nochmal unseren herzlichen Dank, dass wir so nette Gäste wie Euch begrüßen durften - so macht Tagung Spass."
Spass gemacht hat es den über 150 Teilnehmern, die den Weg nach
Truckental in Thüringen gefunden haben, sicherlich auch. Man hatte einen
ausgezeichnet geeigneten Ort gefunden, ein früheres Freizeitgelände am
Südrand des Thüringer Waldes mit Tagungsräumen, einer leistungsfähigen
Küche, einer Getränkeversorgung zu vernünftigen Preisen (Bier 2 Euro),
verschiedenste Übernachtungsmöglichkeiten von der Zeltwiese bis zu
Einzelhütten, überall Parkplätze, mit bout-du-monde-Charakter. Von Schalkau
ging es immer einem Tälchen entlang Richtung Neuhaus am Rennweg, man
durchquerte Tuckental, bog nach links auf eine noch schmalere Straße ab, die
Riesenbrücke der ICE-Strecke unterquerte man bei einer Stelle, wo dauernd
Bauern ihre großen Plastiktanks mit frischem Quellwasser vom Blessberg
füllten, dann weiter durch eine Talboden mit Wiesen, links und rechts wölbten
sich Talhänge mit Fichtenbeständen auf, die vom Borkenkäfer niedergemacht
worden waren und teilweise schon wieder geräumt von den Stämmen waren, immer
weiter hinein in den Talgrund ging es, auf einmal das niedrige
Empfangsgebäude.
Drinnen warteten schon drei Mitglieder des Berliner Höhlenvereins, die die
Aufgabe übernommen hatten, den Empfang der Teilnehmer zu organisieren.
Reibungslos ging das meist ab, schließlich hatte man sich ja schon im
vornhinein im Internet anmelden sollen und die anfallenden Kosten waren schon
elektronisch vom Konto abgebucht woren. Man bekam eine Teilnehmerkarte
ausgehändigt und konnte sie sich um den Hals hängen. Dann konnte es losgehen.
Ein großes Programm hatte man vorbereitet - attraktive
Höhlentouren mit dem Highlight einer Befahrung der Blessberghöhle, viele
Einzelvorträge, die zum Teil parallel abgehalten wurden, zwei Hauptvorträge:
Goethe und die Geologie um 1800 von Stephan Kempe und den großen Hauptvortrag
über die Entdeckungsgeschichte der Blessberghöhle von 3 der damaligen
Protagonisten, Jens Leonhardt, Eckart Göbel und Georg Schollän, zwei Filme:
einer über den Röhrigschacht Wettelrode und No Place on Earth, ungeheur
aktuell durch den Krieg in der Ukraine. Am Mittwoch hatte man bereits ein
VdHK-Symposium organisiert: Wissenschaft unter Tage - Höhlenforschung im
Dialog.
Wichtig war natürlich, daß eine
Jahreshauptversammlung ordnungsgemäß abgehalten worden ist, die erste wieder
seit 3 Jahren, wo einige wichtige Beschlüsse gefaßt wurden. Der Benno-Wolf-Preis wurde an Christian Zaenker für seine
Leistung bei der Schaffung der Cave-Life-App verliehen. Das fand dann eine würdige
Krönung mit einem Apero im Freien und einer kurzen Würdigungsrede von
Jean-Claude Thies. Wir hatten ja alle großes Glück, daß nämlich auch zu
diesem Zeitpunkt das Wetter mitspielte und alles im Freien stattfinden
konnte.
Mein Betrag zum Programm bestand in einem Vortrag mit dem Titel "In memoriam Elmar Hammerschidt : Carl Spitzweg als Maler von Höhlenmotiven." Bedingt durch die organisatorischen Voraussetzungen fanden die verschiedenen Vorträge parallel zueinander gleichzeitig statt und es gab ein hervorragendes Tourenprogamm - alles gleichzeitig. So war eine starke Konkurrenzsituation gegeben, die halt zu harten Entscheidungen zwang. Trotzdem, die Besucher meines Vortrags und ich waren am Ende recht zufrieden, was da herausgekommen ist.
Glücklicherweise blieb coronamäßig alles ruhig. Ich habe nur eine Maske bei einem Teilnehmer einmal gesehen. Und nichts später davon gehört, daß es zum Ausbruch einer Pandemie gekommen wäre.
Das nächste Treffen soll in Erdbach in Hessen sein - auch ein prima geeignete Gegend, um eine sehr attraktive Höhle kennenzulernen, und die vielen Höhlenfreunde wiederzutreffen.
Glückliche Teilnehmer |
Text vor der Tagung:
"Körperlich gesund, seelisch krank". So hat jemand den Zustand jenseits des Höhepunkts der Coronapandemie beschrieben. Da ist viel dran und die "Aufräumarbeiten" laufen. Sind wir zuerst Einzelwesen, die sich, wenn es paßt, uns auch anderen zuwenden, oder ist es nicht so, daß zuerst der "Andere" kommt, und dann erst der Einzelne? Das sind Gedanken, die schon uralt sind. Mal dominiert die eine Idee, mal die andere, mal Aristoteles und ein Großteil der "westlichen" Denktradition, mal, um einen der frühen Andersdenkenden anzuführen, Anaximander, in moderner Version etwa mit Levinas, zu nennen.
Das Zusammenkommen ist kein Luxus, sondern lebensnotwendig. Man
kann das natürlich ganz unterschiedlich gestalten. Ich habe es noch erlebt,
daß während meiner Grundwehrzeit bei der Bundeswehr der Leiter der
Krankenabteilung von sich gab: "Für mich fängt der Mensch erst beim
Offizier an." Autoritäte Systeme, die hierarische Strukturen durchsetzen
wollen, sind überall auf dieser Erde, wieder, en vogue. China, Russland,
Saudi-Arabien.... Die Idee der Gleichheit der Menschen ist noch nicht gar so
alt, Mann-Frau, Hautfarben, Religionen....
Wir machen alle die Erfahrung, daß die Zukunft immer weniger vorhersehbar ist.
Da nützt alle Wissenschaft auch nichts. Wer hätte schon die Corona-Pandemie
vorausgesehen, wer den Angriff von Russland auf die Ukraine? Voraussagen seien
immer unsicher, besonders wenn sie die Zukunft betreffen - eine Binsenweisheit,
und doch die Situation genau beschreibend.
Hoffen wir also, daß es tatsächlich dazu kommt: Wieder einmal eine Verbandstagung der deutschen Höhlen- und Karstforschung, wieder in Thüringen. Die letzte in Nesselwang im Allgäu war ein voller Erfolg. Da kann man nur hoffen, daß es in Thüringen auch wieder gelingt, die oft recht besonderen "Höhlenforscher" für ein paar Tage zusammenzubringen.
Natürlich war gleich ein Highlight der Tagung ausgebucht, die Exkursionen in die Blessberghöhle. Mal gehört man zu den Verlierern, mal zu den Gewinnern.... (Später stellte ich fest, daß das Schicksal schon so seine seltsamen Wege bereithält. Einer fiel wegen Coronaerkrankung aus und ich konnte nachrücken. Des einen Leid ist manchmal des anderen Freud.
"Was ist priavt, persönlich an dem Verlust eines Menschen,
was ist kollektiv? Was kann man teilen? Soll man die Erinnerungen im Stillen
bewahren oder müssen sie, können sie erzählt werden? Werden die Wortes eines
jeden jeweils andere Wege nehmen und ein Stück weiter wieder zusammenfinden,
oder werden diese Schleichwege für immer parallel verlaufen." An diese
Passage aus dem Buch "Nevermore" von Cécile Wajsbrot, übersetzt von
Anne Weber, mußte ich in Truckental denken, als ich versuchte, den
Höhlensitzgurt von Roland Harnisch, den ich ihm im Muotathal vor vielen Jahren
für 20 Euro abgekauft hatte, und der mir nun, nach seinem Tauchtod in der
Mühlbachhöhle 2022, etwas unheimlich geworden war,
weiterzugeben/"loszuwerden". Ich fragte andere, die wohl ihm näher
gestanden haben, ob ich den gelben Gurt nicht jemand daran Interesse daran
gehabt hätte. Die Antworten waren sehr aufschlußreich. Ich wurde gefragt, ob
er noch gebrauchstüchtig sei, dann konne man ihn vielleicht weiterverwenden.
Ansonsten habe man daran kein Interesse.
Hier ist man an einer Schwelle: Sie die Dinge immer nur Dinge oder können sie
nicht auch mehr sein? Im Begriff des "Fetisch" ist das hier Gemeinte
auch schon lange diskutiert worden. Monetär stellt sich das in der Praxis so
dar, daß auf Versteigerungen unglaubliche Summen für bloße Sachen gezahlt
werden: etwa die Wollsocken von Heinrich Himmler oder ein BH von Marilyn Monroe.
Ikonen gelten in der orthodoxen Kirche als weit mehr ein bloßes Bild, sie sind
selbst etwas Heiliges.
"Fetisch" - " (von
lateinisch facticius ‚nachgemacht, künstlich'; französisch fétiche
‚Zauber[mittel]') bezeichnet: die Verehrung bestimmter Gegenstände im Glauben
an übernatürliche Eigenschaften" WIKIPEDIA
Ich habe längst einen neuen modernen Sitzgurt gekauft. Der alte
von Roland liegt nun im Eck und hat keinen Gebrauchswert mehr. Ihn einfach nur
noch in die Mülltonne "entsorgen"? Ganz wohl ist mir dabei
nicht.
Literatur:
Hoffmann, Biggi (2023): VdHK-Tagung 2022 - Und die Frage: Lohnt sich eine Teilnahme? Der Fränkische Höhlenspiegel 65-2023, S. 112f.
Wajsbrot, Cécile, übersetzt von Anne Weber (2021): NEVERMORE; Wallstein-Verlag, Göttingen
Links
https://www.vdhk.de/fileadmin/pdf/veranstaltung/2022/tagung/Gesamtprogramm_Jahrestagung.pdf
[ Index ] | [ Englisch version ] | [ Höhlen und Höhlengebiete ] | [ Kunst ] |
[ HöRePsy ] | [ Höhlenschutz ] | [ VHM ] | [ Veranstaltungen ] | [ Links ] |