Franz Lindenmayr / Mensch und Höhle

"Congres 2014" in L'Isle-sur-le-Doubs, Frankreich


Ein kleines Nebenereignis während der Zeit des 6. Congres Franc-Comtois und der Jahreshauptversammlung des französischen Höhlenforscherdachverbandes (Assemblée générale de la FFS) vom 7. bis 9. Juni 2014 in L'Isle-sur-le-Doubs, das viele dort gar nicht mitbekommen haben, war für uns wenige Deutschen, die dort waren, von schmerzlich-extremer Bedeutung. Es sickerte durch, daß es im Riesending am Untersberg, der momentan längsten und tiefsten deutschen Höhle, einen Unfall gegeben hatte, und daß man auf weitere Informationen warten mußte. Patrick Derriaz, Leiter der Schweizer Höhlenrettung, hatte eine kurze Benachrichtung bekommen, daß vielleicht auch ihre Hilfe benötigt werden könnte. Ein Deutscher mit Wohnort in Bern habe in einer zehnstündigen Tour vom Unglücksort aus den Eingang erreicht und dann die Rettung alarmiert. Ich habe mich mit ihm ein wenig darüber ausgetauscht, weil ich ja zumindest die Eingangsumgebung und einige der beteiligten Forscher seit vielen Jahren schon kenne. Wer denn verletzt worden sei, das wußte auch er nicht. Die Ungewißheit war nicht sehr unangenehm, aber auch nicht das Entscheidende. Um wen mußten wir fürchten?


Aus: "Rettung aus tiefster Not" von Lars Abromeit: "L'ISLE-sur-le-Doubs, Frankreich / 8. Juni / 18 Stunden nach dem Unfall
Auf dieses Pfingstwochenende hatte Rolf Siegenthaler sich schon lange gefreut: Zusammen mit seiner Familie besucht er den Höhlenforscherkongress in der Region Bourgogne-Ranche-Comté, in der Nähe von Besancon. Guter Wein, gutes Essen. In einem Festzelt tauschen sich die Forscher tagsüber aus, abends tanzen sie.
Siegenthaler ist 40 Jahre alt. Er zählt zu den erfahrensten Speläologien der Schweiz und verkauft Helmlampen, deren LED-Technik er gemeinsam mit einem Freund entwickelt hat. Zudem führt Siegenthaler als "Rettungsobmann der Region 6" in Bern regelmäßig die Einsätze der Speleo-Secours, einer freiwilligen Elitetruppe, in der sich die besten Höhlenforscher der Schweiz für Rettungsaktionen in tiefen Schächten und Gangsystemen zusammengetan haben. Und deshalb erhält Siegenthaler nun einen Anruf der Bergwacht Bayern, der ihn aus der Wochenendstimmung reißt: Unfall im Riesending. - 1000 Meter. Ob die Speleo-Secours helfen kann?
In seinem schwarzen Notizbuch vermerkt Siegenthaler den Zeitpunkt seiner Benachrichtigung. Dann alarmiert er seinen Freund und Kollegen Andy Scheurer, Obmann der Ostschweiz, Kolonne 7.
Ihr Plan: Scheurer wird mit der ersten Gruppe von Spezialisten nach Deutschland zur Höhle fahren, "auf Platz", wie sie sagen. Siegenthaler plant unterdessen weiter voraus. Ihnen beiden ist klar, dass "ein Dutzend Experten", wie erst gedacht, niemals genügen werdne, um Johann Westhauser aus der Höhle herauszubringen..." 


Am nächsten Morgen sollte mehr Klarheit herrschen (was dann auch schnell der Fall war, denn eine Gruppe sehr erfahrenen Höhlenforscher und -retter aus der Schweiz wurde direkt zum Untersberg gebracht, um aktiv an der sehr schwierigen Rettung teilzunehmen/aus der Zeitung habe ich davon erfahren), so lange konnte niemand hier wirklich etwas tun, und es ging der Festabend ungetrübt weiter.

Das große feierliche Abendessen, die "Repas de gala", fand weiter statt, um die 250 Personen wurden da verköstigt, und zum Trinken gab es roten und weißen Arboiswein. Vorher und nachher spielte die Band "Jungle Rose" Soul und Bluesmusik aus den 50er bis 90er Jahren. Ein paar Paare trauten sich sogar auf die Tanzfläche! Ich habe kein einzige französisches Lied gehört. Um 11 Uhr wurde abgebrochen, weil die Anwohner rund um das Schulgelände sicherlich auch einmal nachts ihre Ruhe haben wollten. Eine Menge Leute hatten wir einen wahren Sitzungsmarathon hinter sich. Um 8 Uhr 30 begann sie im "Salles des Fetes", wurde für zwei Stunden mittags unterbrochen, wurden die Sitzungsstühle umgeräumt, herein kamen die Tische fürs Mittagessen (in diese Kultur ist ein Wissen eingebaut, das heute die Neurobiologen bei uns entdecken, daß da nämlich das "Gemeinschaftshormon" massenhaft ausgeschüttet wird, Oxytoxin, das uns gesund macht und untereinander verbindet - so etwas ist dann im Falle von Notsituationen ja besonders wichtig!), die dann wieder hinausgeräumt wurden, und weiter ging die Sitzung bis um 18 Uhr. Einen deutschen Teilnehmer gab es auch, Michael Laumanns. Der mischte sich richtig einmal ein, weil es um den Vorschlag ging, daß der Französische Verband aus dem Europäischen Höhlenverband austreten wollte. Mit diplomatischem Geschick gelang es ihm, die Wellen zu glätten, denn was wäre "Europa" ohne "Frankreich", aber satzungsmäßig ist noch nichts abgesichert, ist die Sache, so seine Worte, "noch nichts in glatten Tüchern". Er entdeckte dabei, daß die meisten Franzosen doch ein gutes und sehr gutes Englisch verstehen und sprechen, auch wenn sie das scheinbar nicht so gerne offen zeigen. Gut, daß wir diese Sprache haben - diese lingua franca.

Mit der Ruhe war es für ein paar Tage nicht weit her für die Nachbarn, weil hier für kurze Zeit das gesamte große Schulgelände und der "Salles des Fetes" mitten im Ortszentrum von den über 300 Höhlenforschern gut genutzt wurden. Hintereingangscharakter hatte der Zugang zur großen Schauhalle, wo sich das Empfangsteam, die Speleoausrüster, die Buchhändler und einige kleine Ausstellungen vereint fanden. Zum Schutz des Fußbodens hatte man alles mit schwarzen Plastikfolie bedeckt, so daß eine extraordinäre Atmosphäre im Raum herrschte.


Aus einem Leserbrief von Egil Reeg, Bergern, mit der Überschrift "Verschobene Schwerpunkte", abgedruckt in der Süddeutschen Zeitung Nr. 132 am 11. Juni 2014, S. 13: "Was wäre das für eine heile Welt, wenn (noch) alles so heil (wäre) wie früher? Wo Kinder auf die Bäume kraxeln konnten (wie Affen), in Wiesen hüpfen (wie Hasen), sich in Weihern und Tümpeln suhlen (wie Wildschweine), in Bächen plantschen (wie Enten). Als die Eltern froh darüber waren, wenn sich der Nachwuchs alleine - im überschaubaren Umfeld - außer Haus beschäftigte; schließlich mußten sie ja hart schuften, um die Familie über Wasser zu halten....."


Durch zwei Seitentüren konnte man hinaus ins Freigelände. Dort gab es das große "Freßareal", das Schankzelt und ein paar Schaustände. Für die Kinder gab es die Schlufbox für Fortgeschrittene (etwas, was inzwischen als Alleinstellungsmerkmal für Speläoveranstaltungen langsam schon langweilig wird, weil es jeder anbietet). Die Gruppe GSAM zeigte, wie man Grabungswerkzeuge für die Höhle herstellen kann, die Gruppe Marcel Loubens hatte unter einem Zeltdach jede Menge Pumpen ausgestellt und zeige an Schautafeln, wofür man sie sinnvoll einsetzen kann.

Das Zentralthema für die die Vorträge war "Höhlenkataster" ("inventaires") und dazu gab 14 Vorträge, wobei es zwei deutschsprachige Vertreter gab, Harry Zeitlhofer und Philippe Häuselmann.

Für die Kleinen gab es ein Malatelier, wo sie im Stil der Steinzeitmenschen ihre Hervorbringungen produzieren konnten. Die die Großen gab es z.B. noch einen Photowettbewerb, eine Lotterie und einen großen Vortragsabend für die Öffentlichkeit am Samstagabend. Da wurde ein langer, sehr wissenschaftlich gehaltener Vortrag über eine neuentdeckte Schachthöhle im Jura mit vielen Knochen von Tieren gezeigt, die gründlichst wissenschaftlich untersucht und hier vorgestellt wurden. Und es gab vier Höhlenfilme, alle von Maxime de Gianpietro, gezeigt, die sich mit Höhlen im Französischen Jura beschäftigten, der source de la Creuse bei Eysson, ein Höhlenrettungseinsatz im Gour de Bouclans, den Gouffre de Jardel und den Gouffre du Coudrier in Arbois.

Um den weiten Weg bis nach L'Isle-sur-le-Doubs zu machen, da muß es schon ein "Zuckerl" geben. Das bestand vor allem in der Möglichkeit, einmal auch Höhlen zu sehen, die ansonsten verschlossen sind. Dafür hatte man schon auf dem UIS-Weltkongreß in Brünn mit einem eigenen Stand Werbung gemacht. Am Ende hatte sich dieses Sonntagsangebot doch ein wenig verweltlicht. Die Gelegenheit, auch einmal in die Grotte du Crotot zu kommen, kam für 60 Personen, verteilt auf jeweils 20 pro Tag. Der Rest ging leer aus. Die Grotte de Rang, normalerweise permanent verschlossen gehalten durch die Gemeinde, weil sie von dort ihr Trinkwasser bezieht, war ausnahmsweise offen. Dieses Angebot wurde sehr gut genützt. Die Tuileriehöhle, heutzutage verschlossen mit einem Türchen, früher weit offen und oft besucht und entsprechend massivst abgenützt, war offen, aber nur wenig besucht. Viele der klassischen Höhlen der Region, angefangen mit der Pourpevelle über die Malatière bis zur tiefsten Höhle dort, dem Gouffre de Montaigu (-385 m), waren mit entsprechenden Einbauten versehen, so daß im Grunde jeder, der über die entsprechenden Speläoqualifikationen verfügt, hinein konnte. Unterwegs zeigten kleine Wegweiser, wohin es ging. Meistens reichten die Hinweise, manchmal war ein wenig suchen notwendig. Dann gab es da auch noch ein paar bekannte Höhlen, die waren nicht geöffnet für diese Veranstaltung. Leute, die fragten, ob man nicht da oder dort hinkönnte, die wurden höflich weiterkomplementiert.

Ich habe mir ein eigenes Süppchen aus den gebotenen Möglichkeiten gekocht und geschaut, wo man in SCP-Technik (Solo Cave Photography) in kurzer Zeit schöne Photos herstellen kann. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis.

Natürlich ist am Ende immer den Veranstaltern zu danken, die sich eine solche Arbeit angetan haben. Arbeit hat oft einen negativen Beigeschmack, insbesondere wenn es "entfremdete Arbeit" ist, also wenn man nicht selber bestimmen kann, was man tut. Arbeit ist aber im Sinne einer Gestaltungsmöglichkeit der Welt auch eine wunderbare Sache, wo man sich auch ganz physisch dafür einbringen kann, wie man sich so eine gelungene Weltordnung vorstellt. Es sind bestimmt 50 "staff"-Leute herumgerannt und noch einige "speleo secours"-Westenträger. Die haben für "Ordnung" gesorgt auf dem Gelände, richtig professionell. Die Küchenmannschaft im großen langen Zelt hat reibungslos gearbeitet und an den Zapfhähnen waren stundenlang dieselben Damen, immer mit einem freundlichen Gesicht.

In den Dörfern habe ich viele frisch herausgeputzte Kriegsdenkmäler gesehen, an den Hauswänden hingen viele Plakate, die an die Invasion in der Normandie 1944 erinnerten. Hoffentlich kommt nie mehr wieder eine Situation, die in einem 1915 in Deutschland geschriebenem Buch so formuliert wurde: "Die Franzosen versuchen einen Vorstoß, aber die Deutschen treiben sie zurück in die Ruinen der Dörfer." (Gellert, S. 176)


"Das Wahre steht immer
zwischen den Zeilen der Geschichte." Peter Horton, Die andere Saite


Mein Vater hat mir davon erzählt, daß er deutsche Offiziere gesehen hat, die sich in die Betten französischer Bürger stellten und hineinuriniert haben. Das waren wohl echte Vertreter der "Herrenrasse der Arier", SS-ler?,  von denen Adolf Hitler in "Mein Kampf" schwadroniert hat. Oder waren das berühmten "Einzelfälle"?

Ich freue mich, wenn wir heute wieder freundschaftlich miteinander umgehen. Selbstverständlich ist das überhaupt nicht.


 

Viele Vorankündigungen

> Hier fanden die Abendveranstaltungen statt und die Haupttagung der FFS

     
Der Eingang in die Veranstaltung

Die Halle des Empfangs, der Händler und der Ausstellungen

     
Abendessen
     
 
     
 
     
Die momentane Präsidentin der FFS Laurence Tanguille
     
Die Schlufbox für die Unterhaltung der Kinder
     
> Der Eingang ins "Leben"

> Ein Hinweis auf eine Ausstellung in Ornans

> Gustave Courbet als "Höhlenkünstler"

 

Literatur:

Abromeit, Lars Rettung aus tiefster Not, GEO 7-2019, 48-80
Gellert, Georg Der Kampf im Feindesland - Erzählung aus dem Völkerkriege 1914/15, Berlin 1915

Links:

Congres 2014

Der Speläoclub Berlin (SCB) — Current news and activities around the club

Gustave Courbet - L'Origine du monde

Landschaft und Höhlen im Departement Doubs, Frankreich


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